„Touch Me Not“ von Adina Pintilie


Der Debütfilm "Touch Me Not" sicherte sich den Goldenen Bären der 68. Berlinale. Eins besondere Ehre für die rumänische Regisseurin und ihr kontrovers diskutiertes Werk. © Manekino Film, Rohfilm, Pink, Agitprop, Les Films de l'Etranger

Der Debütfilm „Touch Me Not“ sicherte sich den Goldenen Bären der 68. Berlinale. Eins besondere Ehre für die rumänische Regisseurin und ihr kontrovers diskutiertes Werk. © Manekino Film, Rohfilm, Pink, Agitprop, Les Films de l’Etranger

Mach dich nackig

In Zeiten der Krise des Privaten löst ein Film wie „Touch Me Not“ vielleicht bei dem einen oder anderen Zuschauer Phantomschmerzen aus. Der Film, den die Filmemacherin Pintilie laut eigenen Aussagen zur persönlichen Therapie produzierte und in dem ihr lange nicht klar war, wohin die Reise gehen soll, nötigt den Zuschauer 125 Minuten lang zu einer Art Schocktherapie der Körper. Recherche zur Intimität nennt Adina Pintilie es. Mit einer Makro-Nahaufnahme, einer explorativen Kamerafahrt über einen ruhenden, nackten Männerkörper beginnt sie die Exkursion. Die Kamera rückt dem Körper so nah, als könne sie seine haarigen Beine, sein Glied, seinen behaarten Bauch, seine Hand und seine Brustwarzen ertasten. Intimität als (nackte) Körpererfahrung. Das Bild dient Pintilie als Prolog und ist gleichzeitig ihre Definition von Intimität.

In der Sequenz darauf wird eine Kamera aufgebaut, bei der ein Spiegel den direkten Blickkontakt zwischen der Regisseurin und ihren Protagonisten ermöglicht. Eine Technik, die beispielweise Dokumentarfilmer wie Errol Morris für Interviews immer wieder gerne nutzen und die bewirkt, dass die Protagonisten direkt in die Kamera blicken und dem Zuschauer offen begegnen. Damit sind die Mittel des Filmes abgesteckt: ein Hyprid zwischen Dichtung und Wahrheit – heute oft als „dokumentarische Form“ beschrieben -, in dem die Kamera dem beobachtenden und fragenden Blick Lauras folgt, ihre Selbsterfahrungen vor die Kamera holt und vielleicht mehr Protagonisten sich selbst spielen, als man wohl glauben möchte. Denn Pintilie versteht die Entstehung ihrer Filmfiguren aus den gecasteten Persönlichkeiten selbst als organischen Vorgang. „Ich caste Menschen, die einen Charakter darstellen sollen, doch ihr Charakter wird erst real, wenn diese Figur ihre eigene Geschichte, ihre Biographie und persönliche Erinnerungen mit einbringt.“

Im Zentrum von Adina Pintilies Versuchsanordnung steht Laura (Laura Benson), eine ernste Frau, mit scheuem, skeptisch lauerndem Blick und verschlossener Körpersprache. Panik und Unbehagen strömt aus jeder Faser ihres Körpers. Die 50-Jährige hat ein Problem damit, Nähe zuzulassen. Ihr Vater, der in einem Krankenhaus liegt, so wird angedeutet, hat offenbar keinen unwesentlichen Anteil an diesem Gefühlszustand. Doch Laura spürt inzwischen eine innere Rebellion, einen Widerstand, dem sie nachgeben will, erklärt sie in die Kamera. Hilfe sucht sie dafür bei Sexworkern unterschiedlichster Couleur. Es folgen ein Callboy, dem sie beim Duschen und Onanieren zusieht, die transsexuelle Hanna (Hanna Hoffmann) und Eskort Seani (Seani Love), spezialisiert in BDSM-, Kink, und Neo-Tantra-Praktiken.

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