„Touch Me Not“ von Adina Pintilie


In „Touch Me Not“ geht es – entgegen dessen, was der Titel zunächst erwarten lässt – vor allem um die körperliche Erfahrung, die durch Entblößung, Anfassen und Angefasstwerden und die Überwindung eigener Toleranzgrenzen erlebbar gemacht werden sollen. Dazu verwebt Pintilie Lauras Geschichte mit Tudors (Tómas Lemarquis) Erlebnissen in einer Körper-Selbsterfahrungsgruppe im Krankenhaus, in dem sie ihren Vater regelmäßig besucht. Doch die Verquickung will nicht recht funktionieren. Zu weit mäandern die beiden Erzählstränge auseinander und sollen doch zu einer Einheit werden, zusammengehalten durch die immer wieder gestellte Frage: „Wie fühlst du dich?“ Zu stark und fast ausbeuterisch fokussiert sich die Regisseurin dabei in ihrem Debüt auf die nackten und durch unterschiedliche Anomalien gekennzeichneten Körper. Dass die Akteure aus freien Stücken am Film mitwirken, kann dabei nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass ausschließlich diese Anomalien im Fokus stehen, sei es der haarlose Körper Tudors, Christians spinale Muskelatrophie oder Hannas hermaphroditer Körper. Es geht weniger um ihre Geschichte als um ihre Körper, die dazu dienen sollen, Abscheu zu überwinden. So muss sich Tudor bezwingen, Christian (Christian Bayerlein), der seinen Speichelfluss nicht steuern kann, im Gesicht zu berühren, während Laura in ihren Begegnungen mit Würgreflex und Hustenanfällen kämpft. Und so entwickelt sich Adina Pintilies ursprüngliche Recherche zur Intimität rasch zum Essay, das Konventionen in Sachen Schönheit und Stigma hinterfragt und Grenzen erfahrbar macht. Dem Zuschauer will der Film dabei allerdingts mit fast erzieherischem Ton ein eher unterkomplexes Bild menschlicher Diversität überhelfen.

Pintilies grundlegende Idee war wohl, Körper symbolisch als Ausdrucksmittel menschlicher Verwundbarkeit zu inszenieren. Aber ihr Ansatz hinkt und offenbart eine alte Klischeevorstellung von Intimität, die sich allerdings bis heute manifest in vielen Köpfen hält: Intimität als sexuelles Erlebnis und körperliche Berührung. Ihren Recherchehöhepunkt lässt die Filmemacherin dann ihre Protagonisten auch in einem SM-Club feiern. Selbst Sexualtherapeuten würden gegen diese Eindimensionalität vermutlich Sturm laufen. Intimität ist vor allem ein Prozess des sich gegenseitigen Erkennens und Spürens und einer daraus resultierenden Verbindung der Involvierten, ein Vorgang, der vor allem eins fordert: Vertrauen. Doch im Film dominieren vielmehr Abwehr, Befremdlichkeit und Zwang, sowohl für den Zuschauer als auch einige der Protagonisten. Aushalten lautet das Gebot der Stunde.

Pintilie gelingt es einfach nicht, für ihre menschliche Studie den richtigen Ton zu finden. Zu sehr ist sie mit ihrem Ego und Andeutungen beschäftigt. Dabei hätte der Film mit einem echten Konzept und mehr Raum für die Persönlichkeiten ihrer Figuren eine spannende Reise werden können.

SuT

Touch Me Not„, Regie: Adina Pintilie, DarstellerInnen: Laura Benson, Tómas Lemarquis, Christian Bayerlein, Hanna Hoffmann, Seani Love, Grit Uhlemann, Irmena Chichikova, Rainer Steffen, Kinostart: 1. November 2018

Der Film, wenn er denn in die Kinos kommt, wird weiter etliche Kontroversen auslösen und wurde vielleicht gerade weil er so radikal zum Dialog anregt, den Zuschauer mit sich und seiner Wahrnehmung konfrontiert und bei aller Ambivalenz der oberflächlich abgebildeten Welt, Vorstellungen hinterfragt, auf der 68. Berlinale mit dem Goldenen Bären bedacht.

1 2