75. Berlinale: DAS LICHT von Tom Tykwer & KEIN TIER. SO WILD. von Burhan Qurbani


DAS LICHT © Frederic Batier / X Verleih AG
DAS LICHT © Frederic Batier / X Verleih AG

Die Bretter, die das (Förder-)Geld bedeuten

Die Eröffnungsfilme der großen Festivals müssen besondere Aufgaben bewältigen. Sie sollen auf das Programm einstimmen, inhaltliche Orientierung bieten und mit ein bisschen Prominenz vor und hinter der Kamera locken. Die Berlinale hat über die letzten Jahre hinweg von Wes Andersons handzahmem Stop-Motion-Spaß ISLE OF DOGS (2018) bis Tim Mielants‘ ernstem Drama SMALL THINGS LIKE THESE (2024) über die irischen „Magdalenen-Heime“ sehr unterschiedliche Ansätze gewählt.

Weiterlesen: SuTs Kritik „I Love Dogs zu ISLE OF DOGS…

Bei der 75. Berlinale fiel die Wahl auf DAS LICHT, Tom Tykwers erstem Spielfilm seit fast zehn Jahren. Darin erzählt er die Geschichte der syrischen Migrantin Farrah, die eine ausgebildete Ärztin ist, doch aufgrund der fehlenden Berufserlaubnis nicht in Deutschland praktizieren darf. Sie wohnt in einer Geflüchteten-WG und arbeitet bei der dysfunktionalen mittelständischen Familie Engels in Berlin als Haushälterin. Während die Mutter Milena regelmäßig nach Kenia jettet, um öffentliche Mittel für ein Theaterprojekt in Nairobi einzuwerben, verkauft Vater Tim seine idealistischen Vorstellungen bei einem bösen Konzern. Tochter Frieda trippt auf der Suche nach Orientierung durch die Clubszene und engagiert sich als politische Aktivistin, während Sohn Jon sich in seinem Zimmer verschanzt und Tage und Nächte in einer VR-Welt verbringt. Ab und zu besucht sie Stiefsohn Dio, wenn sein leiblicher Vater Godfrey spontan nach Nairobi muss. Sie alle existieren in ihren eigenen Mikrokosmen und leben aneinander vorbei.

Dieses von Symbolik triefende Filmspiel hat Tykwer mit versierten Schauspieler*innen mit Theatererfahrung (unter anderem Ensemble-Darstellerin Tala Al-Deen und Schaubühnen-Veteran Lars Eidinger) in den Hauptrollen realisiert. In ironisch pointierten und überspitzten Dialogen reflektieren die Figuren über sich selbst und einander, mal gestresst, mal frustriert, mal freudig, mal konfrontativ. Allerdings kauft man ihnen keines ihrer Milieus wirklich ab. Von stereotypischen Business-Meetings über bunt imaginierte psychedelische Rauschzustände bis hin zu Tron-ähnlichen Computerspielwelten wirkt alles vollkommen überzeichnet und weltfremd. Farrah agiert als mysteriöser Mary Poppins-Verschnitt und macht es sich mit ihrer gutmütigen Art zur Aufgabe, die Familienmitglieder wieder zusammenzubringen. Ob als Spielball für Jon, Mutter-Ersatz für Frieda oder sexuelle Projektionsfläche für Milena.

Zumindest kann man DAS LICHT zugutehalten, dass der Film mit einer gewissen Spielfreude in Szene gesetzt wurde, wenn die Protagonist*innen in imaginierten Befreiungsschlägen tanzend, singend, animiert oder schwebend ihre eigenen Lebensvorstellungen ausdrücken. Doch die Oberflächlichkeit, mit der Farrahs traumatische Fluchtgeschichte aus Syrien thematisiert wird, stößt bitter auf. Sie will die Familie mit einer geheimnisvollen Lichttherapie heilen. Allerdings werden die politischen Konflikte dabei mit esoterischer Verklärung als vordergründige Betroffenheitsgeste instrumentalisiert. Vor allem wenn die offene Familienstruktur der Engels damit gegen Ende in eine konservative Kernfamilie zurückgeführt werden soll, um die persönlichen Konflikte auf vollkommen naive Weise aufzulösen, verliert sich Tykwer vollkommen in der Belanglosigkeit seines Handlungsgerüsts.

Eine ähnliche Herangehensweise wählt auch Burhan Qurbani, der mit KEIN TIER. SO WILD. bei der 75. Berlinale ebenfalls in der Sektion Berlinale Special vertreten ist.
Nach dem starken Reenactment der Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen in WIR SIND JUNG. WIR SIND STARK. (hier die Kritik „Anklage in Schwarz-weiß“) und der mit opernhafter Opulenz überzeichneten Migrationsgeschichte in BERLIN ALEXANDERPLATZ (hier die Kritik „Berliner Unterwelt im Neonlicht“) hat er diesmal eine Theateradaption von Shakespeares Richard III. im Milieu der arabischen Clans von Berlin verfilmt.

KEIN TIER. SO WILD. ist dabei befremdlich steif in Szene gesetztes Sprechtheater in Filmform geworden und scheitert vor allem an seiner unglaublich langweiligen filmischen Umsetzung. Statt Handlungen gibt es Dialoge und in die Kamera rezitierte Monologe erläutern die Motivationen der Figuren. Die Geschichte des Konflikts zwischen den beiden Großfamilien York und Lancaster wurde dafür in die Gegenwart versetzt. Rashida, die jüngste Tochter und Anwältin des Hauses York, beendet den Machtkampf mit einem Anschlag auf die Lancasters. Das reicht ihr allerdings nicht, sie will herrschen, stiftet Intrigen, verführt ihre Gegner und tötet ihre Geliebten. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht wird sie jedoch in einen Krieg in ihrem (nicht näher definierten) Geburtsland zurückversetzt und sieht sich mit den Schrecken ihrer Kindheit konfrontiert. Dabei dient Berlin hier ebenfalls als Bühne. Doch während DAS LICHT an verschiedenen Orten mitten im Stadtbild realisiert wurde und bei allen Zweifeln zumindest mit einer spannenden Drehortsuche belohnt, existiert die Stadt in KEIN TIER. SO WILD. irgendwo im Verborgenen hinter den künstlichen und statischen Bühnenbildern, die meist im Halbdunkel verschwinden.

Beide Filme distanzieren sich auf theatralische Weise von der Welt, in der sie spielen wollen. Die Auseinandersetzung mit den kriegerischen Konflikten in der arabischen Welt und den damit verbundenen Migrationsgeschichten wird durch die vordergründigen Inszenierungen und künstlichen Dialoge auf eine simple moralische Message reduziert: „Krieg ist schlimm!“
Doch die konkreten Kontexte, auf die sie sich beziehen, ließen sich wahllos gegen andere austauschen, ohne dass sich die Handlungsverläufe in irgendeiner Form ändern würden. Vielleicht sind diese plakativen Herangehensweisen bloß Vorwände gewesen, um an die zahlreichen öffentlichen Fördermittel (u.a. vom Medienboard Berlin-Brandenburg, der FFA und der Film- und Medienstiftung NRW) zu kommen, bei denen sich Tykwer und Qurbani großzügig bedient haben. Diversität sieht allerdings anders aus und ihre mangelnden Auseinandersetzungen mit den eigenen Inhalten untergraben ganz grundsätzlich die Aufgabe des Films als Kunstform, welche die Berlinale sich unter der neuen Leitung von Tricia Tuttle so motiviert auf die Fahne geschrieben hat.

Henning Koch

DAS LICHT; Regie: Tom Tykwer; Darsteller*innen: Nicolette Krebitz, Lars Eidinger, Tala Al-Deen, Elke Biesendorfer, Julius Gause; Kinostart: 20. März 2025

KEIN TIER. SO WILD.; Regie: Burhan Qurbani; Darsteller*innen: Kenda Hmeidan, Verena Altenberger, Hiam Abbass, Mona Zarreh Hoshyari Khah, Mehdi Nebbou; Kinostart: 8. Mai 2025

KEIN TIER. SO WILD-Termine auf der 75. Berlinale
Montag, 17.2., 21:30 Uhr, Colosseum 1
Mittwoch, 19.2., 21:00 Uhr, Wolf Kino (Berlinale Goes Kiez)
Donnerstag, 20.2., 10:00 Uhr, Urania
Freitag, 21.2., 13:00 Uhr, HKW 1 – Miriam Makeba Auditorium