„Lichtgestalten“ von Christian Moris Müller



Lichtgestalten“ von Christian Moris Müller ist ein Kammerspiel, das seine diegetische Welt von innen heraus etappenweise dekonstruiert und abrüstet. Auf die Ordnung folgt das Chaos, auf das Chaos folgt das Nichts. Weichgezeichnet durch Zeitlupen sowie Farben- und Schattenspiele zerfällt das alte Leben des Paares, das sich in On- und Off-Dialogen immer wieder seines gemeinsamen Wunsches rückversichert. Gespräche und Interaktionen, die zuweilen etwas gekünstelt und übertrieben poetisch erscheinen, jedoch eine wichtige Frage aufkeimen lassen: Kann man gemeinsam frei sein?

Denn wer sich aller existenzieller Abhängigkeiten entledigen will, wird zwangsläufig seine emotionalen Beziehungen zu anderen in Frage stellen. Gemeinsam angehäufte Materie verbindet, weil sie Erinnerungen greifbar werden lässt und präsent hält. Ohne sie ist der Schritt vom Wir zum einstigen Du und Ich nicht weit. Das Auflösen, Zerteilen oder auch Zerstören einer gemeinsamen Basis – meist ist es die Posttherapie und seelische Endreinigung einer längst gescheiterten Beziehung. Steffen und Katharina bemerken zu spät, dass ihre persönliche Revolution zum Kampf zweier Individuen um ihr Wir-Gefühl geworden ist. Dass die Leere, die sich um sie herum ausbreitet, ihre Gefühle füreinander zu verschlucken droht.

Als filmisch umgesetztes Gedankenexperiment liest sich „Lichtgestalten“ als Aufforderung, das Was-wäre-wenn-Szenario zu Ende zu denken. Wunschgedanken an ein Leben ohne Ballast, in dem das Gestern einfach ausradiert wird, halten sich hartnäckig. Die Realität als weiße Leinwand mit dem Potenzial eines gänzlich neuen Bildes – es ist eine radikale und zugleich verlockende Idee. Doch wer alles loslässt, gibt auch alles auf. Und wer wirklich frei ist, hat immer eine Wahl.

Alina Impe

Lichtgestalten„, Regie: Christian Moris Müller, DarstellerInnen: Theresa Scholze, Max Riemelt, Sebastian Schwarz, Max Woelky, Kinostart: 7. Januar 2016

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