MATTHIAS & MAXIME von Xavier Dolan


Im Gegensatz zum fast schon märchenhaft entrückten CALL ME BY YOUR NAME findet diese Verwirrung nicht im luftleeren Raum statt, sondern mitten im durchaus materiellen Knäuel gesellschaftlicher Rollenerwartungen und wirtschaftlich prekärer Umstände. Damit zeichnet Dolan auch gleich ein Bild von Kanada mit, das man vor lauter Braunbär-Romantik und Vorzeige-Nordamerika gar nicht immer auf dem Schirm hat.

Doch Dolan wäre nicht Dolan, wenn er bei aller sozialer Erdung nicht symbolisch-theatrale Momente miteinbindet. Die flatternden, gelb werdenden Blätter der Bäume, die die Veränderungen der Freundschaft zeigen. Oder das Kulminationsmoment des Filmes bei Maximes Abschiedsparty, als die beiden – emotional-dramatisch unterlegt von Phosphorescents „Song for Zula“ – an eine beschlagene, mit Plastikfolie überzogenen Fensterscheibe gelehnt, Nähe zulassen, in der Leidenschaft und gegenseitiges Erkennen zu gleichen Teilen sichtbar werden. Es sind mutige und überaus sinnliche Momente wie diese, die Dolan dann auch visuell von anderen Regisseuren und Regisseurinnen abheben. Die einen die überflüssigen Überinszenierungen an anderer Stelle (hysterische Frauenrunden, infantiler Boy Scout Humor) vergessen lassen. Und vielleicht auch das größte Plotmanko kaschieren: Es gibt keinerlei feindliche Elemente in dieser fiktionalen Welt, die erklären würden, warum sich Matthias sich so lange dagegen stemmt, sich mit dem Film-Kuss auseinander zu setzen.

Sieht man von diesen Schwächen ab, ist MATTHIAS & MAXIME im Grunde ein optimistischer Film, der einen vielleicht nicht unbedingt dahinschmelzen lässt, aber einen doch in der positiven Grundüberzeugung aus dem Kino entlässt, das Freundschaft unterschiedliche Formen annehmen kann – und dass sich der Kontext verändern, aber die Verbundenheit bestehen kann. Vielleicht ja sogar manchmal in Kombination mit Liebe.

Marie Ketzscher

MATTHIAS & MAXIME, Regie: Xavier Dolan. Mit: Gabriel D’Almeida Freitas, Xavier Dolan, Pier-Luc Funk, Samuel Gauthier, Antoine Pilon, Adib Alkhalidey, Kinostart: 29.7.2021

1 2