SAG DU ES MIR von Michael Fetter Nathansky


Es braucht trotzdem ein bisschen, bis die Tragikomödie SAG DU ES MIR in die Gänge kommt. Das liegt am erwähnten Plotkonstrukt, aber auch an auf den ersten Blick unwichtigen Nebenschauplätzen, zu denen auch die Suche nach einem verschwundenen Mädchen gehört. Im Laufe des René-Kapitels nimmt der Film dann an Fahrt auf (obwohl es nie wirklich verständlich wird, warum René Brückenschubser wird und was es mit seinen Gewaltausbrüchen auf sich hat) und dem Zuschauenden erschließt sich, dass es hier nicht nur sehr darum geht, die Geschichte von allen Seiten zu beleuchten, damit sich am Ende die Teile zu einem befriedigenden Puzzle zusammenfügen. Sondern darum, die Puzzleteile als unterschiedliche Versionen der gleichen Geschichte wahr- und anzunehmen. So empfinden die Schwestern ihre Rollen ganz anders, wie es Monis erste Übernachtung im Hotel zeigt. Aus Monis Sicht will Silke allein sein, also geht Moni freiwillig ins Hotel und betrinkt sich dort – im Silke-Kapitel sagt Silke den schon erwähnten, verletzenden Satz ‚“Dat interessiert mich nich“, sodass Moni sauer abdampft und sich dann betrinkt. Nicht Teil von Monis Geschichte ist das Danach, das für Silkes Perspektive relevant ist: Am nächsten Tag kümmert sich Silke aufopferungsvoll um die verkaterte Moni.

Es bleibt dabei irrelevant, wer eigentlich „Recht“ hatte und was Lüge ist – in SAG DU ES MIR haben alle Geschichten den gleichen Wert, jede Version der Wahrheit bekommt die gleiche Relevanz. Dabei zeigt Fetter Nathansky auch, wie Beziehungen zwischen Dynamik und Ritual changieren, beispielsweise im Wechselspiel aus Annäherung und Distanzierung zwischen den entfremdeten Schwestern oder als René seinem besten Freund Sven gesteht, dass ihm dieser leider irgendwie egal geworden ist (auch so ein Nebenschauplatz). SAG DU ES MIR ist ein schönes und mutiges Infragestellen von Wahrheit und Lüge sowie Opfer- und Täterschaft und macht die Erkenntnis plastisch erlebbar, dass es gar keine eine, ganze Version einer Geschichte gibt – nicht in der Liebe, nicht in der Freundschaft und erst recht nicht in der Familie.

Marie Ketzscher

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