Die Festivalleiter Michael Stütz und Bartholomew Sammut zum 10. XPOSED International Queer Film Festival Berlin

Interview zu Xposed 2015: Weiß, hetero und männlich dominiert immer noch


xposed2015Euer Poster ist bunt, abstrakt und in ein Korsett gezwängt. In wie fern repräsentiert es euer Festival?
Bartholomew Sammut:
In der Recherche vor dem Festival haben wir Marion Habringer, die für Trailer, Poster & Co verantwortlich ist, mitgeteilt, wie das Programm aussehen könnte. Wir hatten klassische Filme im Auge, die alle sehr bunt waren, ganz viel aus den 80ern und ein weiteres Thema, das in vielen Filmen vorkommt, ist die australische Landschaft. Marion hat alles aufgenommen und ihre Interpretation daraus geschaffen. Ich finde es ist eine sehr schöne Repräsentation für das Festival geworden.
M. Stütz: Da ist zum Teil Peter Weir’s „Picnic at Hanging Rock“ als Inspirationsquelle. Die Felsen, die Landschaft und natürlich das viktorianische Korsett. Das gilt es zu sprengen, sich davon zu befreien. Das Korsett kann man als gesellschaftliches Synonym für sexuelle Unterdrückung und Einzwängung sehen. Ich denke viele Filme in unserem Programm drehen sich um Selbstbestimmung, Sehnsucht, Körperlichkeit aber auch um die Radikalisierung und Befreiung von gesellschaftlichen Fesseln. Es geht viel um den Umgang mit den eigenen Wurzeln, Familie und Wahlverwandtschaften. Da ist noch Leigh Bowery als Inspirationsquelle und ein wenig Lucien Freud, aber so genau muss das keiner wissen.

Ihr feiert zehnjähriges Jubiläum. Großartig. Jedes Jahr legt ihr einen länderspezifischen Fokus fest. Im 10. XPOSED International Queer Film Festival kehrt ihr zurück zu den Wurzeln des Festivals: Australien. Welche filmischen Leckerbissen aus ‚Down Under‘ erwarten uns?
B. Sammut:
Als ich 20 Jahre alt war habe ich für die Fernsehrserie „Eat Carpet“ gearbeitet. Diese Serie hat immer queere Kurzfilme gezeigt und hier habe ich ganz viele alte queere australische Filme gesehen in den Archiven. „Eat Carpet“ existiert nicht mehr. Es hat sehr viel Recherchearbeit gebraucht, um die ganzen Filmklassiker wiederzufinden. „My Cunt“ von Deborah Strutt, „Margaret Star: A Fall von Grace“ von Annabelle Murphy oder „Exposed“ von Tony Ayers sind Kurzfilme, die ihrer Zeit voraus waren, total progressiv in Form und Story.
M. Stütz: Bart hat da echt sehr viel Wissen und Erfahrung mitgebracht und hat großartige Kurzfilme für das Programm aufgespürt. Da wäre noch der großartige Dokumentarfilm „Bastardy“ von Amiel Courtin-Wilson. Den haben wir eher zufällig bei unserer Recherche entdeckt und uns sofort in den Film und vor allem den Protagonisten verguckt. Ein sehr nahes und intimes Portrait von Jack Charles, dessen Lebensgeschichte tatsächlich unglaublich ist. Es gibt ohnehin nicht viele Filme die Aborigines portraitieren, von daher hat der Film für uns einen ganz besonderen Wert.

Welche anderen Highlights dürfen wir nicht verpassen?
B. Sammut:
Please Like Me“ – da ich ein TV Serien Freak bin. Ich muss sagen, als ich diese Serie in Australien gesehen habe, war ich total begeistert. So in etwa ging es mir mit „Orange is the New Black„. Du denkst, oh wow, genauso muss es sein. Es war eine großartige Überraschung, dass eine australische Serie sich dem Thema Homosexualität so authentisch stellt und sogar im nationalen Fernsehen ausgestrahlt wird.
M. Stütz: Ich muss noch unbedingt zwei Filme ansprechen. „Amor eterno“ des Spaniers Marçal Forés, ein großartiger Genrefilm der besonderen Art. Düster, atmosphärisch und höchst eigenwillig. Ein Schauspieler aus dem Ensemble und der Komponist werden zu Gast sein bei der Vorführung. Nicht weniger interessant, jedoch ganz anders ist das Langfilmdebut „Fort Buchanan“ von Benjamin Crotty. Auf 16mm gedreht, wechselt der Film mühelos zwischen Seifenoper und französischem Kunstkino. Der Film ist seit seiner Premiere in Locarno letztes Jahr bei unzähligen Festivals gelaufen und Crotty wird seinen Film persönlich bei XPOSED vorstellen.

Weiterlesen: „Xposed 2015: An ‚X‘ marks the spot!“ unsere Vorschau auf das Festival.

Plaudert doch einmal ein wenig aus dem Nähkästchen. Welche Tiefen und Höhen hat das XPOSED International Queer Film Festival seit seinem Bestehen schon durchgemacht? Was waren besonders magische Momente?
M. Stütz:
Magisch sind jene Momente, in denen man bestimmte Filme entdeckt. Filme, die man zeigen will, aber erstmal eine Weile nach den richtigen Worten sucht, um sie halbwegs gerecht zu beschreiben. Aber auch die der Kollaboration zwischen uns und mit anderen Kollegen und Festivalmachern. Man sucht nach Inspiration. Die kann von allen Ecken und Enden kommen. Aber auch die Momente, wo unsere großartige Marion Habringer die Plakat- und Trailerdesigns zum ersten Mal schickt und man nur mit offenem Mund vorm Rechner sitzt und auf ihre Kreationen starrt. Die formen das Festival und seine Außenwirkung natürlich auch massiv und dafür sind wir auf immer und ewig dankbar.

Und welche eher ernüchternd?
M. Stütz:
Ernüchternd sind die Momente, in denen wir merken, dass wir nur einen bestimmten finanziellen Spielraum haben, der nicht zulässt Bestimmtes zu realisieren. Dieses Jahr können wir uns nicht beschweren, wir haben viel Unterstützung bekommen, was auch Zeit wurde. Damit konnten wir schon sehr viel erreichen und gestalten. Am Schlimmsten ist, wenn du für einen speziellen Film alle Hebel in Gang gesetzt hast, um ihn erst mal zu finden und dann zum Festival zu bringen – und dann hast du einen leeren oder halbleeren Kinosaal. Das tut weh, weil man sich sehnlichst wünscht, dass so viele Menschen wie möglich den Film sehen, weil man so für den Film brennt und diese Erfahrung unbedingt teilen möchte. Das gab es, aber in den letzten zwei Jahren hatten wir ein stets wachsendes Publikum.

Auch dieses Jahr gibt es neben Screenings wieder zwei Film Talks. Welche Themen werden diskutiert? Wer ist zu Gast?
M. Stütz:
Wir haben eine Runde zum Thema „Drag und Cross-Dressing im Film„, welches ein sehr großes Thema ist, da gibt es großartige Beispiele vom deutschen Stummfilm bis zu Jack Smith und Divine. Als zweiten Talk werden wir am Samstag über Filmförderung sprechen mit Jürgen Brüning, Ulrike Zimmermann, J. Jackie Baier und Veronika Grob vom Medienboard und anderen. Das passt wunderbar im Anschluss an die Pitching Session des Queer Short Film Fund.

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