Interview zum 11. XPOSED International Queer Film Festival in Berlin

XPOSED 2016: Macht Spaß!



Ihr habt gerade schon die Hommage an den Videokünstler Michael Brynntrup erwähnt. Wie seid ihr darauf gekommen?
B. Sammut:
Wir lieben Michael Brynntrup. Wir haben auch einen Film bei unserem fünften Festival 2010 gezeigt. Da haben wir einen deutschen Fokus gehabt. Wir wollten schon lange eine Retrospektive und Hommage über ihn machen.
M. Stütz: Dieses Jahr hat es endlich geklappt. Wir haben immer mal Filme von ihm in Gastprogramme, die wir für andere Festivals international kuratiert haben, hineingepackt, weil wir immer große Fans von seiner Arbeit waren. Er hat wirklich tolle Filme gemacht, sehr transgressive Arbeiten, die sich mit diesen Grenzüberschreitungen beschäftigen, das thematisieren, auch AIDS unter anderem, aber viele andere Themen, ganz philosophische Ansätze. Formal das bringen, was uns wirklich Spaß macht und interessiert: Filme, die sehr camp sind, mit legendären Berliner Polit-Tunten im Rokoko-Outfit bis hin zu intimen Porträts von Weggefährten. Er hat eine Bandbreite, aber eben auch seine eigene Handschrift und seine Motive, die er immer wieder einbringt und das fanden wir immer wahnsinnig toll und interessant. Viele Leute haben von ihm gehört, kennen aber nicht wirklich Arbeiten von ihm. Ich denke, viele Leute, die seine Arbeiten kennenlernen werden sehr begeistert sein. Er ist auch da und wird Rede und Antwort stehen. Wir zeigen zwei seine Filme bei der Eröffnungsparty zur Einstimmung: einen unserer absoluten Lieblingsfilme „Liebe, Eifersucht und Rache“ und „Narziss und Echo„.

Zum zweiten Mal findet der Queer Short Film Fund statt, bei dem Filmemacher ihre Ideen für Projekte vor einem Publikum und einer Jury pitchen. Wie sind eure Erfahrungen aus dem letzten Jahr?
B. Sammut:
Die Erfahrung letztes Jahr war super. Gestern war die Deadline. Da kamen etwa zehn Einreichungen – last Minute. Den Pitch zu sehen, ist lustig und informativ. Es ist gut für die Filmemacher, diese Erfahrung vor dem Publikum und der Jury zu machen und so Feedback zu bekommen. Dieses Jahr war es schwierig, weil wir nicht wussten, ob wir Geld für den Preis haben. Dann haben wir Hilfe von elledorado e.V. bekommen. Der Fund ist etwas, was wir auf jeden Fall machen wollen, weil es sehr wichtig ist.
M. Stütz: Der Pitch letztes Jahr kam super an. Obwohl es draußen warm war, war die Lounge voll. Es gab wirklich viel Interesse, auch von Filmemachern, die nichts eingereicht hatten, aber sehen wollten, wie so etwas abläuft. Die Preisgewinnerin Doireann O’Malley hat noch weitere Förderungen bekommen und kann jetzt mit dem Budget, das sie von Anfang an wollte, den Film so machen wie sie will. Es ist schön zu wissen, dass wir der Startpunkt waren. Wenn das weiterhin so sein kann, ist das wunderbar und ich denke in Berlin gibt es genügende Filmemacher und Filmemacherinnen, die tolle Projekte haben.

„Ajeeb Ashiq" („Strange Love") aus Indien: eine Dokumentarfilm-Fiction-Hybrid und Porträt auch über die Stadt Mumbai – abseits von jeglichen Bollywood Klischees. Foto_ Xposed 2016

„Ajeeb Ashiq“ („Strange Love“) aus Indien: eine Dokumentarfilm-Fiction-Hybrid und Porträt auch über die Stadt Mumbai – abseits von jeglichen Bollywood Klischees. Foto_ Xposed 2016

Ihr habt schon viele Highlights genannt. Was sind denn eure persönlichen Highlights des Festivals? Worauf freut ihr euch ganz besonders?
M. Stütz:
Wenn ich zwei nennen darf, würde ich sagen „Ajeeb Ashiq“ („Strange Love„), der Langfilm, der am Eröffnungstag läuft, aus Indien: ein Dokumentarfilm-Fiction-Hybrid. Supertoller, wahnsinnig moderner, großartiger Film. Ein Porträt auch über die Stadt Mumbai – so wie man sie noch nicht gesehen hat, abseits von jeglichen Bollywood Klischees, von einer jungen, tollen, aufstrebenden Filmemacherin. Super schöne queere Perspektive. Toll gedreht. Formal einfach ansprechend. Ein Film, der wirklich alles richtig macht, ein sehr zeitgemäßes Gefühl einfängt, mit einem speziellen kulturellen Background natürlich. Den würde ich wirklich sehr warm empfehlen. Wir haben die deutsche Premiere. Und ein wirklich ganz persönliches Highlight ist der portugiesische Dokumentarfilm „E Agora? Lembra Me“ („What Now? Remind me„) von Joaquim Pinto. Den habe ich vor drei Jahren in Portugal auf einem Festival gesehen. Da ist der gerade aus Locarno frisch gekommen. Er lief dort im Wettbewerb und hat auch einen Preis gewonnen. Der Film hat mich einfach umgehauen. 164 Minuten lang, das könnte abschrecken, aber es gibt keinen Moment, keine Minute, in der einem langweilig wird. Unglaublich poetisch! Er dreht sich darum, wie man mit HIV und Hepatitis C lebt. Der Filmemacher porträtiert sich und seinen Partner und sein Leben ein Jahr lang, aber der Film ist so voll von Reflektion über das Leben und Freude, dass es wirklich jeden anspricht. Der Film öffnet so viele Möglichkeiten, filmisch und thematisch. Ich hoffe, es kommen ganz viele Leute, weil es wirklich kein einfacher, aber ein ganz großartiger Film ist und einer der besten Dokumentarfilme, die ich jemals gesehen habe.
B. Sammut: Ich liebe das ganze Programm, aber programmiert habe ich am liebsten das Queering Found Footage Programm. Da gibt es so viele schöne Kurzfilme. „Famous Diamonds“ ist vielleicht mein Lieblingsfilm des ganzen Festivals.
M. Stütz: Man kann sich von vielen dieser Filme entführen lassen in ganz abstrakte Bilderwelten und sich fallen lassen, weil man keinem Plot folgen muss. Einfach den Bildern folgen und fühlen, was man fühlt und assoziieren. Ganz spontan, ganz unangestrengt. Ich mag diese Formate, die dir diesen Raum geben und dir nichts vorgeben, sondern einfach nur öffnen und dann bist du dran. Das finde ich das Schöne auch generell am Experimentalfilm.
B. Sammut:L’amour au temps de la guerre civile“ („Love in the Time of Civil War„) ist auch ein Lieblingsfilm. Der bleibt im Kopf.
M. Stütz: Fast zu schön, aber der Film ist sehr authentisch. Es geht um Crack Addicts, die nur von Hit zu Hit leben, von Hook Up zu Hook up. Der Film ist wahnsinnig konsequent, indem er das Beobachtende einfach durchzieht und eine schöne Dramaturgie aufbaut, aber sehr langsam, sehr bedächtig, dem ganzen die Zeit gibt, die es benötigt. Er ist sehr dunkel, sehr düster und sehr schwer, aber das ist ein großartig und schön gefilmter und super gespielter Film, der einem wirklich auch Abgründe aufzeigt – ohne schnelle Schnitte, ohne Videoästhetik.

1 2 3