Polnisches Kino von seiner besten Seite


17. filmPolska
17. filmPolska

Dank filmPolska können Berliner_innen in den kommenden Tagen das aktuelle polnische Filmschaffen überblicken. Die 17. Ausgabe, die vom 22. bis 29. Juni stattfindet, zeigt, dass unsere Nachbarn die ganze Bandbreite des Kinos beherrschen.

Seinen Auftakt feiert das Filmfest im Freiluftkino Kreuzberg, wo das Künstlerporträt ALLE UNSERE ÄNGSTE (OT: WSZYTKIE NASZE STRACHY) läuft, das 2021 den „Goldenen Löwen“ beim wichtigsten polnischen Filmfestival in Gdynia gewann. Das Drama von Łukasz Gutt und Łukasz Ronduda, der als Gast zur Festivaleröffnung erwartet wird, erzählt die emotionale und spannungsgeladene Emanzipations- und Widerstandsgeschichte des queeren, gläubigen Künstlers Daniel Rycharski, der als Person und mit seinen Werken für Aufsehen sorgt. Darüber wird Łukasz Ronduda sicher im Gespräch zu berichten wissen, ist er doch nicht nur für Regie und Drehbuch des Films verantwortlich, sondern als Kurator des Museums für Zeitgenössische Kunst in Warschau auch mittendrin in der vitalen Kunstszene seines Landes.

Das Werk läuft neben sechs weiteren Werken im Wettbewerb des Festivals und tritt so in Konkurrenz zu Werken wie der hoch gelobten Literaturadaption ANDERE LEUTE von Aleksandra Terpińska, der Dorota Masłowskas gleichnamigem polnischen Kultroman als Vorlage für das Kino umsetzt. Für das Urban-Rap-Musical wurden eigens für das Festival deutsche Untertitel angefertigt, um die Seelenwelt von Protagonist Kamil verstehen zu können.
Endlich auf Berliner Leinwänden zu sehen: MOSQUITO STATE von Filip Jan Rymsza. Schon 2020 bei den großen Filmfesten in Venedig und Sitges zu bewundern, bringt filmPolska das Drama, das die Idee entwickelt, Mücken könnten Vorboten einer Apokalypse sein, nach Berlin.
In jenem Wettbewerb treten übrigens auch zwei dokumentarische Stoffe an: Mit POLISH SELF-PORTRAIT (POLAKÓW PORTRET WŁASNY) untersuchen die Regisseure Maciej Białoruski, Jakub Drobczyński und Robert Rawłuszewicz in einer Collage aus Amateur-Alltagsaufnahmen die unmittelbaren Folgen der Corona-Pandemie. Während Karol Pałkas BUCOLIC (BUKOLIKA) anhand eines bäuerlichen Tochter-Mutter-Verhältnisses einen lakonischen Blick auf das romantische Ideal des Landlebens wirft.

Aus dem sogenannten „Filmpanorama: Innenansichten“ finden sich mit EROTICA 2022 und HINTERLASS KEINE SPUREN zwei Festivalperlen, über die ihr euch auch (unten) in unseren Empfehlungen noch etwas genauer belesen könnt. Neben zahlreichen Spezialprogrammen, allen voran der Retrospektive Zbigniew Cybulski und der Reihe Kamerablick, die Paweł Łoziński Schaffen als Regisseur und DoP gewidmet ist, flankieren die Ausstellung „Die erträumte Geschichte des Kinos in Podlachien“ im Polnischen Institut das Festival, außerdem die Podiumsdiskussion über die Lage in Ost-/Mitteleuropa aus der Sicht (dokumentarisch arbeitender) Filmemacher*innen und das erste Deutschlandkonzert der polnischen Indiefolkband LOR (ein Ukraine-Benefiz-Konzert). Andrzej Górskis fotografische Inszenierungen erinnern an Persönlichkeiten, die mit Białystok und der nordostpolnischen Region Podlachien verbunden sind.
Es gibt also viel zu entdecken.

DD

Die 17. Ausgabe von filmPolska findet von 22. bis 29. Juni 2022 statt.
Das komplette Programm findet ihr auf der Festivalhomepage beim Polnischen Institut.

Hier einige Empfehlungen aus dem 2022er-Programm

LEAVE NO TRACES © Łukasz Bąk

HINTERLASS KEINE SPUREN (IT: LEAVE NO TRACES; OT: ŻEBY NIE BYŁO ŚLADÓW)

Darum geht es:
1983 kam es in Polen zu einem Kriminalprozess, der die Miliz und den Sicherheitsdienst involvierte. Zwei junge Männer wurden von zwei Beamten verhaftet, nachdem sie auf einem öffentlichen Platz herumgealbert haben. Auf der Wache schießen sich die Beamten auf die beiden ein und schlagen sie. Einer von ihnen wird derart brutal behandelt, dass er an seinen Verletzungen erliegt. Da die Beamten ihn in den Bauch geschlagen haben, lassen sich keine offenen Spuren der Misshandlung erkennen, wie das der Fall gewesen wäre, wenn man ihn in den Rücken getreten hätte. Sein Freund ist Zeuge davon und sagt aus, ohne lässt sich auch nach monatelangem Drangsalieren einschüchtern zu lassen.

Was du zum Film wissen musst:
Mit dem Vorgängerwerk THE LAST FAMILY konnte Jan P. Matuszyński 2016 gleich zwei Hauptpreise beim FFC gewinnen. Das Künstlerportrait könnt ihr hier auf BFF streamen!
Nun kehrt er nach der Premiere bei den Filmfestspielen in Venedig zurück nach Cottbus und tritt mit seinem Politdrama LEAVE NO TRACES im Wettbewerb an. Der Film basiert auf einem reellen Fall von 1983 und prangert faschistisches Gedankengut an, ohne den Versuch zu wagen, in den offiziellen Rängen auch oppositionelle Positionen aufzuzeigen. Eine Straffung hätte dem Film, der 160 Minuten geht, gut getan. Er zeigt sich dann am stärksten, wenn es um die Verhöre geht und das Vokabular der Partei in seiner Absurdität demontiert. – TV

Termine bei filmPOLSKA
Freitag, 24. Juni, 22:00 Uhr, Sputnik Kino
Montag, 27. Juni, 18:00 Uhr, Kino Thalia Potsdam / in Kooperation mit dem FilmFestival Cottbus und dem Polnischen Filmclub der Universität Potsdam / zu Gast: Denis Demmerle (filmPOLSKA)

EROTICA 2022

Darum geht es:
Die Anthologie EROTICA 2022 vereint fünf dystopische Kurzgeschichten aus ausschließlich weiblicher Sicht. In den düsteren Zukunftsvisionen wird die Rolle der Frau in der polnischen Gesellschaft in den Fokus gerückt. Die Themen der fünf Episoden kreisen um Verlangen, Macht, Isolation, Freiheit, Separation, Fruchtbarkeit, Ängste und Rache. Schreckensszenarien mit Robotern, Sexpuppen und saurem Regen dienen hier als symbolträchtige Vehikel, um filigrane, vielschichtige und intime Geschichten über Zwischenmenschlichkeit zu erzählen.

Weiterlesen: Eine der fünf Episoden-Regisseurinnen, Anna Jadowska, überzeugte mit WILDE ROSEN auf diversen Filmfestivals, lest hier Emily Grunerts BFF-Kritik „Ein vorgegebener Weg.

Was du zum Film wissen musst:
Der etwas reißerische Filmtitel wird diesem Omnibusfilm nicht gerecht. Alle fünf Regisseurinnen – namentlich Kasia Adamik, Olga Chajdas, Anna Jadowska, Anna Kazejak und Jagoda Szelc – inszenieren in kunstvoller Bildsprache das Verlangen nach Nähe, Anerkennung und Berührung in Ausnahmesituationen, ohne jemals in belanglose Liebesszenen abzudriften. Die einzelnen Kurzfilme stehen für sich, verweben aber untereinander immer wieder kleine Referenzen, die den Kanon homogen wirken lassen. Charlie Brooker könnte an dieser Filmsammlung seine wahre Freude haben, denn Parallelen zu BLACK MIRROR liegen auf der Hand. – AK

Termine bei filmPOLSKA
Samstag, 25. Juni, 21:00 Uhr, K18 zu Gast: Anna Jadowska
Sonntag, 26. Juni, 15:00 Uhr, fsk Kino zu Gast: Anna Jadowska

ASCHE UND DIAMANT (POPIÓŁ I DIAMENT) © WFDiF

ASCHE UND DIAMANT (OT: POPIÓŁ I DIAMENT)

Darum geht es:
Ende des Zweiten Weltkriegs in einem kleinen Ort in der polnischen Provinz. Deutschland hat kapituliert und Maciek Chełmicki (Zbigniew Cybulski), Mitglied der polnischen Heimatarmee und nun im antikommunistischen Untergrund tätig, erhält den Auftrag, den kommunistischen Parteisekretär Szczuka (Wacław Zastrzeżyński) umzubringen. Das Attentat schlägt fehl und zwei Unbeteiligte werden getötet. Zusammen mit seinem Partner Andrzej (Adam Pawlikowski) soll er einen zweiten Anschlag im Hotel Monopol verüben. Dort wird ein großes Bankett mit wichtigen Parteifunktionären für den künftigen Minister veranstaltet. Während die Feierlichkeit auf ihren Höhepunkt zusteuert und zunehmend eskaliert, beginnt Maciek im Eifer des Gefechts eine Romanze mit der Barfrau Krystyna (Ewa Krzyżewska) und zweifelt zunehmend an der Sinnhaftigkeit seines Auftrags.

Was du zum Film wissen musst:
ASCHE UND DIAMANT (POPIÓŁ I DIAMENT; 1958) des Regisseurs und Mitglieds der Gruppe der „Polnischen Filmschule“, Andrzej Wajda, gilt als eines der berühmtesten Werke der polnischen Filmgeschichte. Die geschichtspessimistische Interpretation des offiziellen Siegesmythos sorgte mit der sympathischen Darstellung des Antihelden Maciek neben dem Lob der internationalen Filmpresse auch für Kritik seitens des vorherrschenden kommunistischen Systems und durfte seinerzeit nicht im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele von Cannes gezeigt werden. In der ikonischen Inszenierung des Hauptdarstellers Zbigniew Cybulski, der mit seinem markanten Erscheinungsbild als der James Dean Polens galt, entfaltet sich ein dramatisches Feuerwerk aus Agentenfilm, Politsatire und Romanze, das auf ein zunehmend aussichtsloses Ende zusteuert. Trotz seiner thematischen Schwere und verbitterten Darstellung der politischen Zusammenhänge kommt der Gewinner des FIPRESCI-Preises bei den Filmfestspielen von Venedig dabei mit einer überraschenden Leichtigkeit daher. – HK

Termin bei filmPOLSKA
Freitag, 24. Juni, 21:00 Uhr, Zeughauskino

LOVE TASTING (OT: OSTATNI KOMERS)

LOVE TASTING © Jakub Socha

Darum geht es:
Tief in der sommerlichen schlesischen Provinz steht eine Gruppe von Teenager*innen kurz vor ihrem Schulabschluss. Zwischen Kirche, unspektakulären Einfamilienhäusern und Plattenbauten, letzten Schultagen, Abhängen im Freibad, nächtlichem Rappen auf dem Sprungturm, folgenschweren Partys und Drogenexperimenten lassen sich Monika (Sandra Drzymalska), ihr Zwillingsbruder Tomek (Mikołaj Matczak), Oliwia (Nel Kaczmarek), Kuba (Michał Sitnicki) und die anderen treiben. Während Kuba, der eigentlich mit Monika zusammen ist, ein Auge auf seine etwas ältere Nachbarin (Agnieszka Żulewska) geworfen hat, entwickelt Tomek Gefühle für ihn. Oliwia dagegen, die seit Jahren keinen Kontakt zu ihrer im Ausland lebenden Mutter hat, steckt bald in Schwierigkeiten, die ihre ganze Zukunftsplanung durcheinanderwerfen.

Was du zum Film wissen musst:
Regisseur Dawid Nickel, geboren 1988, legt mit seinem ruhig erzählten, glaubwürdigen Coming-of-Age-Film LOVE TASTING sein Langfilmdebüt vor, das er in seiner Heimatstadt Kędzierzyn-Koźle ansiedelt. Anna Cieplaks Roman „Ma być czysto“ („Es soll sauber sein“) bildet die Grundlage des Films, dessen polnischer Originaltitel OSTATNI KOMERS auf die Abschlussfeier der Schüler*innen anspielt. Mit überzeugenden jungen Darsteller*innen, im Retro-Look, der an die Ästhetik der 70er- bis 90er-Jahre erinnert, und mit aktueller polnischer Musik u. a. von Hania Rani, die auch den Soundtrack zum filmPOLSKA-Gewinnerfilm 2021, I NEVER CRY, komponierte, trifft Nickel den richtigen Ton und erzählt eine universelle Geschichte über einen prägenden Lebensabschnitt, die erste Liebe und erste Enttäuschungen. – StB

Termine bei filmPOLSKA
Samstag, 25. Juni, 18:00 Uhr, Sputnik; zu Gast: Dawid Nickel
Sonntag, 26. Juni, 20:30 Uhr, Bundesplatz-Kino; zu Gast: Dawid Nickel
Montag, 27. Juni, 21:00 Uhr, K 18; zu Gast: Dawid Nickel
Dienstag, 28. Juni, 20:00 Uhr, fsk Kino; zu Gast: Dawid Nickel

GEWINNSPIEL
Berliner Filmfestivals verlost 2×2 Gästelistenplätze für das Kurzfilmprogramm NIGHT OF SHORTS – VOL I von filmPOLSKA am 24. Juni um 22 Uhr im FREILUFTKINO INSEL @ ATELIER GARDENS (BUFA). Schickt uns einfach eine Mail mit dem Betreff „POLSKA“ an marie[at]berliner-filmfestivals.de und nennt uns eure*n polnische*n Lieblingsregisseur*in. „Einsendeschluss“ ist der Donnerstag, der 23. Juni (18 Uhr). Die Gewinnerinnen werden per E-Mail informiert.