Rückblick auf das Fantasy Filmfest 2012

Rückblick auf das Fantasy Filmfest 2012: Drei Blickwinkel


"The Aggression Scale": Ein stilles Kind legt Gangster um. Foto: Tiberius Film

"The Aggression Scale": Ein stilles Kind legt Gangster um. Foto: Tiberius Film

Familientreffen

Viele Horrorfilme verlaufen von einem bestimmten Zeitpunkt an abwärts, d.h. oft vom Auskömmlichen ins nackte Elend. Vollbusige Blondinen, die nach oben, Afroamerikaner, die sinnlos durch die Gegend laufen, Opfer die ausgenommen werden. Diese Toten wüssten von ihrem banalen, dramaturgisch unpässlichen Ende ein Lied zu singen, sängen sie. Das Dumpingverleben der Akzidentellen lässt einen genauso unberührt wie die hübsch drapierte Vergegenständlichung der Essenziellen. Da helfen auch keine zwei Finger breit Streicherflächen mehr. Alles (A)Soziale wirkt entweder unfreiwillig komisch, vorsätzlich brutal oder inszeniert. Im Retrobetrieb der Gegenwart wirken alte Bekannte und deren Freuden einfach nur drollig. Der Psychokiller mit seinem Ersatzphallus-Küchenmesser, der Vampir mit seinen Zähnchen, der Zombie und sein riesen Hunger, der Hitman und seine „Street Wise“ haben ausgedient. Wer solches Zeug noch offeriert, braucht für Tränen der Rührung, Häme und Spott nicht mehr zu sorgen.

Das Fantasy Filmfest setzt keine Trends, aber beim Besuch dieses Festivals weiß man hinterher immer, in welche Richtung die artifizielle Aufbereitung von Mord und Totschlag in der nächsten Zeit gehen wird. Filme wie „96 Minutes“ und „The Aggression Scale“ verdeutlichen, dass explizite Gewalt im Familienalltag mehr und mehr beheimatet ist. So erlebt der Familienfilm besonders in „The Aggression Scale“ eine Renaissance. Er sieht auf das lebendige Soziale mit der Apparatelogik eines funktional differenzierenden Verwalters herab und fühlt sich im Mitfühlen mit den Gezeigten sehr wohl. Die Schadenfreude überlässt er glücklicherweise dem Publikum. Dagegen finden wir bei „Killer Joe“ und „Portrait of a Zombie“ unbestimmte (aber herrschsüchtige) Negationen auf zwei Beinen. Sie brauchen kein Weihnachtsessen im Schrank und kein Kleckerburgbauen am Strand, kein Spielen mit Kindern.

Alexithymie, lautet die Diagnose durchschnittlicher Seelenbeschäler für diese Gruppe Antipathie fördernder Irrer und Matthew McConaughey könnte ihr Anführer werden, wenn sie denn einen zulassen würden. Selma Blair beweist in „Columbus Circle„, dass der hitchcocksche Thriller scheinbar staubresistent ist, nur muss er heutzutage ohne Hitchcockblondine und Cary Grant auskommen, weshalb diese Streifen nur noch Mittelmaß sind. Das Fantasy Film Festival zieht ein ganz bestimmtes Publikum an – den Netflick süchtigen Nichtkinogänger. Alleine das ist schon eine Leistung. Ohne dass es langwierig erarbeitet wird, wird hier ein von der Realität verschiedener Umgang menschlichen Miteinanders gelebt. Das offenkundige Bedürfnis miteinander im Dunkeln zu klatschen, bringt einen wieder zum Familienfilm zurück. Glücklicherweise finden Familientreffen jedes Jahr aufs Neue statt, auch wenn sich die Mitglieder dieser Familie nicht kennen (wollen und müssen).

Joris J.

Entscheiden sie sich!

Auch, wenn das Fantasy Filmfest dieses Jahr sehr horrorlastig war, hatten seine Besucher doch zumindest die Wahl, von welchen quälenden Bildern sie sich lieber anschließend verfolgen lassen: Boddy-Horror mit Blutfontänen, matschigen Eingeweiden oder abgetrennten Extremitäten vs. Suggestions-Horror mit paranormalen Erscheinungen, Geistern und Psychoterror. Da der Begriff Fantasy aber nicht unbedingt eine zwangsläufige Genrereinheit implizieren muss, gab es natürlich auch interessante Kreuzungen mit anderen Kategorien, so zum Beispiel bei „Cockneys vs. Zombies„. Regisseur Matthias Hoene versuchte zu zeigen, dass eine Zombie-Invasion in London sogar ganz lustig sein kann, vorausgesetzt, man hat ein entsprechend motiviertes Team, einen guten Plan und eine Auswahl an überzeugenden Gags. Wie gesagt, vorausgesetzt. Hier und dort zwar mit solidem britischen Humor punktend, verlor die Geschichte um zwei Brüder, die ihren Opa und seine Freunde aus dem Seniorenheim vor der Untoten-Apokalypse retten wollen, allerdings recht schnell an Dynamik und Originalität.

1 2 3