73. Berlinale: Programmtipps der Redaktion


Key Visual Berlinale 2023 © Internationale Filmfestspiele Berlin Claudia Schramke, Berlin

Zurück zum Normalbetrieb: Am Donnerstag startet die erste Post-Pandemie-Ausgabe der Internationalen Filmfestspiele Berlin (16.-26. Februar). Ganz ohne COVID-Beschränkungen, dafür mit dem gewohnten Gewusel aus Fachbesucher*innen und dem ganz regulären Berliner Publikum. 287 Filme und Serien erwarten die Zuschauer*innen in den Sektionen aus Wettbewerb, Encounters, Berlinale Special, Forum und Forum Expanded, Panorama, Perspektive Deutsches Kino, Generation, Berlinale Shorts, Retrospektive (unter dem Thema Coming-of-Age und von prominenten Stimmen wie Wim Wenders oder Ava Duvernay ausgewählt), Classics, Hommage sowie Sondervorstellungen und Berlinale Series. Hinzu kommen die Fachevents wie European Film Market, die WCF (World-Cinema Fund Days), der Berlinale Co-Production Market und Berlinale Talents, die aber zum Teil auch öffentliche Diskursveranstaltungen anbieten.

Es ist die vierte Berlinale-Ausgabe, die das Leitungsduo aus Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek verantwortet – und sie bietet viel von dem auf, was in den letzten Jahren aus unterschiedlichen Kritikrichtungen als fehlend bemängelt wurde. Für den Boulevard ist der Promifaktor mit der Jury-Präsidentin Kristen Stewart, Oscaranwärterin Cate Blanchett, Hommage-Bär-Gewinner Steven Spielberg sowie Helen Mirren, Sean Penn, Bono, Peter Dinklage und Willem Dafoe so stark wie lange nicht. Für die Vertreter*innen des unabhängigen Regiekinos ist die Wettbewerbsauswahl von Christoph Hochhäuslers BIS ANS ENDE DER NACHT – im übrigens als einer von insgesamt fünf deutschen Beiträgen, eine hohe Anzahl – hingegen ein positives Zeichen.

Obwohl die Berlinale „back to normal“ Filme zelebriert, wird längst nicht alles sein wie vor der Pandemie: Verschwinden wird die analoge Antizipation in Form von analogem Ticketansturm und Vorverkaufsstellen-Campieren, die eigentlich wie der Goldene Bär zum Festival gehören: Es wurde komplett auf Online-Ticketing umgestellt. Damit ihr beim täglichen Ansturm auf die Server – am 13. Februar beginnt der Ticketverkauf um 10 Uhr, der Erwerb ist immer drei Tage im Voraus möglich mit Ausnahme des Publikumstages und Sonderveranstaltungen – eine kleine Orientierung habt, was das reichhaltige Programm an empfehlenswerten Beiträgen bereithält: Hier kommen die Programmtipps aus der Redaktion.

WETTBEWERB

DISCO BOY © Films Grand Huit

DISCO BOY

Darum geht es:
Der Belarusse Aleksei ist auf der Flucht vor seiner Vergangenheit. Nach einer beschwerlichen Reise durch Europa schließt er sich in Paris der Fremdenlegion an, um die französische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Währenddessen verteidigt Jomo als Aktivist im Nigerdelta sein Dorf gegen rücksichtslose Ölfirmen und entführt mehrere französische Staatsbürger. Im weiteren Verlauf des militärischen Konflikts werden sich ihre Schicksale überkreuzen.

Was du zum Film wissen musst:
Das Regiedebüt von Giacomo Abbruzzese versammelt einige bekannte Gesichter der Berlinale. Franz Rogowski spielt die Figur Aleksei, die Kameraarbeit stammt von Hélène Louvart, die bereits bei dem Gewinner des Silbernen Bären von 2020 NEVER RARELY SOMETIMES ALWAYS (hier Denis Demmerles Kritik „Ungewollt“) die Linse geführt hat. Den Soundtrack hat der französische Elektro-Star Pascal Arbez-Nicolas aka Vitalic beigesteuert. Somit bleibt es spannend, welche transzendenten Trancezustände diese Zusammenarbeit eröffnen wird. – HK

Termine bei der 73. Berlinale:
Sonntag, 19.02., 22:00 Uhr, Berlinale Palast
Montag, 20.02., 19:00 Uhr, Verti Music Hall
Montag, 20.02., 21:00 Uhr UCI Luxe Gropius Passagen (Berlinale Goes Kiez)
Mittwoch, 22.02. – 10:00 Uhr, Verti Music Hall
Mittwoch, 22.02. – 12:30 Uhr, Zoo Palast 1
Sonntag, 26.02. – 19:30 Uhr, Verti Music Hall

PAST LIVES © Jon Pack

PAST LIVES

Darum geht es:
Das Schicksal hat die Freunde Nora und Hae Sung schon als Kinder voneinander getrennt als Noras Familie aus Korea in die USA auswanderte. 20 Jahre später (be-)sucht Hae Sung sie und ihren Mann Arthur in New York. Obwohl sie noch als Kinder von einander getrennt wurden, drängen sich Fragen auf, wie ihre Leben wohl verlaufen wären.

Was du zum Film wissen musst:
Celine Songs Debüt PAST LIVES gilt als eine der Entdeckungen des gerade zu Ende gegangenen Filmfestvals in Sundance. Als kluge Romcom (!) überzeugt die Dreiecksgeschichte. – DD

Termine bei der 73. Berlinale:
Sonntag, 19.02., 15:45 Uhr, Berlinale Palast
Montag, 20.02., 10:00 Uhr, Cubix 9
Montag, 20.02., 22:00 Uhr, Verti Music Hall
Sonntag, 26.02., 09:30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele

ROTER HIMMEL © Christian Schulz : Schramm Film
ROTER HIMMEL © Christian Schulz : Schramm Film

ROTER HIMMEL

Darum geht es:
Aus zwei Freunden, die den Sommer in einem Ferienhaus an der Ostsee gemeinsam verbringen wollen, werden vier. Leichtigkeit liegt in der Luft – und Liebe. Doch Leon setzt das Ganze irgendwie zu, für ihn wird die Situation zur Belastung.

Was du zum Film wissen musst:
Regisseur Christian Petzold ist mit seinen Werken Stammgast im Wettbewerb der Berlinale. Für BARBARA (hier Verena Manharts Kritik „Wind in der DDR“) wurde er 2018 mit dem Silbernen Bären für die beste Regie ausgezeichnet. Sein WOLFSBURG gewann 2003 ebenso den Kritiker_innen-Preis FIPRESCI wie zuletzt sein Werk UNDINE (2020; hier Stefanie Borowskys Kritik „Der Wassergeist von Berlin-Mitte“), der darüber hinaus seiner Hauptdarstellerin Paula Beer, die auch in ROTER HIMMEL die Hauptrolle übernimmt, den Bären als beste Darstellerin einbrachte. – DD

Termine bei der 73. Berlinale:
Mi 22.02. – 19:00 Uhr- Berlinale Palast
(Audiodeskription via App GRETA)
Do 23.02. – 09:00 Uhr – Verti Music Hall
Do 23.02. – 18:30 Uhr – Haus der Berliner Festspiele
Fr 24.02. – 18:00 Uhr – Kino im Zeiss-Großplanetarium (Berlinale Goes Kiez)
So 26.02. – 10:00 Uhr – Berlinale Palast

Encounters

ENCOUNTERS

MAL VIVER © Midas Filmes

MAL VIVER – VIVER MAL

Darum geht es:
Schauplatz ist ein großes Hotel im Landesinneren Portugals. Das Hotel wird von mehreren Generationen von Frauen aus der gleichen Familie betrieben. Für sie ist es Heimat, aber auch Hort vieler unausgesprochener Verletzungen und ein Gedächtnis ihrer nicht-gelebten Träume. Als die jüngste aus der Familie nach dem Tod ihres Vaters an den Ort zurückkommt, kommt das bisherige Gleichgewicht unter den Frauen ins Straucheln. – VIVER MAL: Ins Hotel kommen verschiedene Gäste, aus deren Perspektive das Haus ebenfalls Mittelpunkt ihrer Unsicherheiten und Streitereien wird. Es geht vor allem um die Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern, auf die man in dieser Enge des Hauses mit einem Vergrößerungsglas blickt.

Was du zum Film wissen musst:
Der portugiesische Regisseur João Canijo hat zwei Filme gedreht zum gleichen Thema, mit gleichem Schauplatz und dem gleichen Schauspielerensemble. Er beleuchtet Familienstrukturen und insbesondere, wie Ängste von Generation zu Generation vererbt werden können. Es ist ein Kuriosum, dass der eine Film im Wettbewerb und der andere im Encounters-Wettbewerb gezeigt wird. Die Filme sind unabhängig voneinander verständlich und in der Bildsprache auch leicht unterschiedlich. – TV

Termine bei der 73. Berlinale:

MAL VIVER (Wettbewerb)

Mittwoch, 22.02., 22:00 Uhr, Berlinale Palast
Donnerstag, 23.02., 12:00 Uhr, Verti Music Hall
Freitag, 24.02., 18:45 Uhr, Verti Music Hall
Samstag, 25.02., 09:30 Uhr, Zoo Palast 1
Sonntag, 26.02., 20:30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele

VIVER MAL (Encounters)

Donnerstag, 23.02., 12:30 Uhr, Akademie der Künste
Freitag, 24.02., 10:30 Uhr, International
Freitag, 24.02., 13:30 Uhr, Zoo Palast 5
Freitag, 24.02., 22:00 Uhr, Cubix 5

BERLINALE SPECIAL

INFINITY POOL © NEON and Topic Studios

INFINITY POOL

Darum geht es:
James (Alexander Skarsgård) und Em (Cleopatra Coleman) verbringen einen scheinbar perfekten Urlaub in einem sonnigen Luxusresort. Doch als sie das vermeintliche Ferienparadies mit der geheimnisvollen Gabi (Mia Goth) verlassen, eröffnet sich ihnen eine düstere Parallelwelt aus hemmungsloser Gewalt und grenzenlosem Hedonismus. Nach einem tragischen Unfall werden sie von den örtlichen Behörden vor eine drastische Wahl gestellt: entweder sollen sie hingerichtet werden, oder sie können sich selbst beim Sterben zusehen – falls ihre finanziellen Mittel es denn erlauben.

Was du zum Film wissen musst:
Nachdem der Regisseur Brandon Cronenberg mit POSSESSOR (2020) in die Fußstapfen seines prominenten Vaters David Cronenberg gestiegen ist, setzt er diesen Weg mit INFINITY POOL konsequent fort. Identitätskrisen und Body Horror verschwimmen in erneuter Zusammenarbeit mit dem Kameramann Karim Hussain und untermalt von dem kanadischen Experimentalmusiker Tim Hecker zu einer alptraumhaften Grenzüberschreitung. – HK

Termine bei der 73. Berlinale:
Mittwoch, 22.02., 22:30 Uhr, Kino International
Donnerstag, 23.02., 15:15 Uhr, Verti Music Hall

TALK TO ME © Matthew Thorne

TALK TO ME

Darum geht es:
Das klassische Oujia-Brett zur Geisterbeschwörung hat ausgedient. Eine Gruppe von Jugendlichen hat ein neues Spielgerät gefunden: Die abgetrennte Hand einer Leiche in Gips gegossen. Fasst man diese Hand an und sagt „Sprich mit mir“, erscheint einem ein Geist. Geht man einen Schritt weiter und fordert diesen auf „Ich lasse dich hinein“, ergreift er Besitz von einem. Das kann ganz verschiedene Auswirkungen haben, mal amüsante, mal weniger harmlose. Eine Weile lang ist das Spiel für Mia, ihre beste Freundin und deren jüngeren Bruder Riley ein amüsanter Zeitvertreib. Doch dann begegnet Riley ausgerechnet der Geist von Mias kürzlich verstorbener Mutter – und alles läuft aus dem Ruder.

Was du zum Film wissen musst:
Die australischen Zwillingsbrüder und Regisseure Danny und Michael Philippou führen in diesem ersten Spielfilm fort, was sie bereits seit Jahren auf ihrem YouTube-Kanal RackaRacka in kleinerem Rahmen gemacht haben. Ihr Film zeugt von einer großen Freude für einfache Spezialeffekte, von einem sympathischen kindlich-verspielten Humor und zeigt auch eine originelle Interpretation bekannter Horrorfilmversatzstücken. Sehenswert für Liebhaber der Gattung. – TV

Termine bei der 73. Berlinale:
Mittwoch, 21.02., 22:30 Uhr, International
Donnerstag, 22.02., 15:30 Uhr, Verti Music Hall

PANORAMA

DAS LEHRERZIMMER © Alamode Film

DAS LEHRERZIMMER

Darum geht es:
Carla Nowak (Leonie Benesch), eine engagierte und idealistische junge Mathe- und Sportlehrerin, bringt großes Verständnis für ihre Schüler*innen auf. Als einer ihrer Siebtklässler*innen beschuldigt wird, einen Diebstahl begangen zu haben, kann Carla nicht einfach zusehen. Sie setzt sich für ihn ein – und versucht, selbst herauszufinden, wer hinter den sich in der Schule häufenden Taten steckt. Doch das Kollegium ist von ihren Nachforschungen alles andere als begeistert und auch unter den Schüler*innen und Eltern wächst der Unmut. Unaufhaltsam steigt der Druck auf Carla.

Was du zum Film wissen musst:
Regisseur İlker Çatak, geboren 1984 in Berlin, stellt in DAS LEHRERZIMMER eine junge Gymnasiallehrerin in den Mittelpunkt, die versucht, trotz immensem Druck von allen Seiten in einem von Vorurteilen und verkrusteten Strukturen geprägten Schulsystem ihren Idealen treu zu bleiben und sich richtig zu verhalten. Hauptdarstellerin Leonie Benesch (BABYLON BERLIN) beeindruckte bereits als Teenagerin in DAS WEISSE BAND. İlker Çatak gewann für ES GILT DAS GESPROCHENE WORT beim Deutschen Filmpreis 2020 die Lola in Bronze für den besten Film. – StB

Termine bei der 73. Berlinale:
Samstag, 18.02.2023, 18:30 Uhr, Zoo Palast 1
Sonntag, 19.02.2023, 13:30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele, Audiodeskription via App GRETA
Montag, 20.02.2023, 10:00 Uhr, Cubix 7
Dienstag, 21.02.2023, 20:30 Uhr, Blauer Stern, Berlinale Goes Kiez
Samstag, 25.02.2023, 18:30 Uhr, Cineplex Titania, Audiodeskription via App GRETA

PASSAGES © SBS Poductions

PASSAGES

Darum geht es:
Tomas ist Filmregisseur und dreht gerade einen Film in Paris. Dort lebt er mit seinem Mann Martin, einem Grafiker. Bei der Drehschlussparty lernt Tomas Agathe kennen und schläft mit ihr. Martin ist nicht sonderlich überrascht von dem Geständnis und glaubt, dass es sich um eine einmalige Sache handelt. Doch Tomas Faszination für Agathe bleibt und wächst. Er zieht zu ihr, sie wird schwanger. Die Nähe zu Martin kann er aber dennoch nicht aufgeben.

Was du zum Film wissen musst:
Der US-amerikanische Regisseur Ira Sachs präsentiert eine neue Liebesgeschichte, die sich an die französische Kultur und auch Filmkultur anlehnt. Dieses Mal sind in den Hauptrollen Franz Rogowski, Ben Whishaw und Adèle Exarchopoulous zu sehen. Sie sind die Akteure in einer klassischen Dreiecksbeziehung, in der Lust Triebkraft ist, aber auch zerstörerisch wirkt. – TV

Termine bei der 73. Berlinale:
Montag, 20.02., 21:30 Uhr, Zoo Palast 1
Dienstag, 21.02., 12:30 Uhr, Cubix 9
Mittwoch, 22.02., 21:30 Uhr, Cineplex Titania
Donnerstag, 23.02., 21:45 Uhr, Zoo Palast 3
Donnerstag, 23.02., 21:45 Uhr, Zoo Palast 4
Donnerstag, 23.02., 21:45 Uhr, Zoo Palast 5
Sonntag, 26.02., 12:45 Uhr, Cubix 9

TY MENE LUBYSH? (DO YOU LOVE ME?) © Family Production

TY MENE LUBYSH? (DO YOU LOVE ME?)

Darum geht es:
Die Ukraine in den 90er Jahren, kurz vor dem Verfall der Sowjetunion. Die 17-jährige Kira wächst in einem wohlhabenden Elternhaus auf und will Schauspielerin werden. Ihr Vater arbeitet als Regisseur beim staatlichen Filmunternehmen, in der großen Wohnung werden ausschweifende Feste gefeiert. Pepsi, Popmusik und Glitzerpullover scheinen die Zukunft zu versprechen. Doch als die Ehe ihrer Eltern auseinanderbricht, sieht sie sich plötzlich mit der tristen Lebensrealität des Systemumbruchs konfrontiert.

Was du zum Film wissen musst:
TY MENE LUBYSH? von Tonia Noyabrova zieht mit einer lebhaften und temporeichen Inszenierung Parallelen zwischen dem Zusammenbruch des politischen Systems und dem persönlichen Lebensumfeld der Protagonistin. Diese wird auf starke und selbstbewusste – aber auch verletzliche – Weise von der Schauspielerin Karyna Khymchuk verkörpert. Ihr jugendlicher Leichtsinn führt sie immer wieder in Situationen, in denen sie begreift, dass ihre pubertären Illusionen nicht so einfach in Erfüllung gehen. – HK

Termine bei der 73. Berlinale:
Montag, 20.02., 19:00 Uhr, Haus der Berliner Festspiele
Dienstag, 21.02., 18:30 Uhr, Cineplex Titania
Mittwoch, 22.02., 18:30 Uhr, Cubix 9
Freitag, 24.02., 10:00 Uhr, Cubix 5
Samstag, 25.02., 21:45 Uhr, Zoo Palast 3
Samstag, 25.02., 21:45 Uhr, Zoo Palast 4
Samstag, 25.02., 21:45 Uhr, Zoo Palast 5
Sonntag, 26.02., 10:00 Uhr, Cubix 5

GENERATION

WANN WIE ES ENDLICH SO, WIE ES NIE WAR © Komplizen Film GmbH / Warner Bros. Entertainment GmbH / Frederic Batier

WANN WIRD ES ENDLICH WIEDER SO, WIE ES NIE WAR

Darum geht es:
Wenn es darum ginge, einen Preis für die ungewöhnlichste Kindheit zu gewinnen, hätte Josse (als Kind: Camille Loup Moltzen, als Teenager: Arsseni Bultmann, als junger Erwachsener: Merlin Rose) sicher die Nase vorn. Weil sein Vater (Devid Striesow) eine Psychiatrie leitet, wachsen Josse und seine beiden älteren Brüder in den 1970er- und 80er-Jahren in einer Villa auf dem Klinikgelände auf. Begegnungen und Freundschaften mit den Patient*innen mit geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen gehören für den Jungen zum Alltag. Josse, der unter gelegentlichen Wutanfällen leidet, erlebt ständig neue Abenteuer – und muss nebenher erwachsen werden. Zu der suizidgefährdeten Patientin Marlene fühlt sich Josse mehr und mehr hingezogen. Doch eines Tages entdeckt er ein Geheimnis, das seinen antiautoritären, liebevollen Vater in einem neuen Licht erscheinen lässt.

Was du zum Film wissen musst:
Mit WANN WIRD ES ENDLICH WIEDER SO, WIE ES NIE WAR, dem autobiografischen Roman über seine 1970er- und 80er-Jahre-Kindheit als Sohn des Leiters der Kinder- und Jugendpsychiatrie auf dem Hesterberg in Schleswig, gelang dem Schauspieler Joachim Meyerhoff 2013 ein sensationeller Erfolg. Regisseurin, Drehbuchautorin und Schriftstellerin Sonja Heiss (HEDI SCHNEIDER STECKT FEST) verfilmt den so komischen wie berührenden Bestseller über das Aufwachsen an einem sogenannten Nicht-Ort nun mit prominenter Besetzung wie etwa Devid Striesow und Laura Tonke als Josses Eltern, Axel Milberg als Ministerpräsident und Lina Beckmann als Haushaltshilfe der Familie. Auch Menschen mit Behinderung übernahmen kleinere Rollen in dem Film, der von Josses Leben in verschiedenen Phasen des Erwachsenwerdens handelt, von der Kindheit bis ins junge Erwachsenenalter. – StB

Termine bei der 73. Berlinale:
Freitag, 17.02.2023, 19:30 Uhr, Urania, Eröffnung Generation 14plus | Zeremonie mit Gebärdendolmetscher*in | Audiodeskription via App GRETA
Samstag, 18.02.2023, 15:30 Uhr, Cineplex Titania
Sonntag, 19.02.2023, 15:45 Uhr, Cubix 8
Montag, 20.02.2023, 12:30 Uhr, Filmtheater am Friedrichshain

DANCING QUEEN © Amarcord

DANCING QUEEN

Darum geht es:
Siebtklässlerin Mina (Liv Elvira Kippersund Larsson) ist eine fleißige Schülerin und gehört nicht zu den als „cool“ geltenden Mädchen. Als der Hip-Hop-Tänzer Edwin, genannt E. D. Win (Viljar Knutsen Bjaadal), der 165 800 Instagram-Follower*innen hat, auf ihre Schule kommt und eine eigene Hip-Hop-Tanzgruppe zusammenstellen will, ist Mina ganz aus dem Häuschen. Um E. D. auf sich aufmerksam zu machen, gibt es nur einen Weg: Mina muss in seine Tanzcrew aufgenommen werden! Das Problem dabei: Sie hat noch nie getanzt. Unterstützt von ihrer Großmutter (Anne Marit Jacobsen), die früher im Chat Noir als Tänzerin Erfolge feierte, und ihrem besten Freund Markus (Sturla Puran Harbitz) trainiert Mina hart – und verändert sich, was auch E. D. Win nicht entgeht.

Was du zum Film wissen musst:
Die norwegische Regisseurin Aurora Gossé, geboren 1987, studierte Regie an der Norwegian Film School und dreht auch TV-Filme und Musikvideos. Ihr Coming-of-Age-Film DANCING QUEEN über Themen wie (Selbst-)Liebe und Freundschaft, der in der Sektion Generation Kplus zu sehen ist, entstand nach einem Drehbuch von Silje Holtet. Die kleine DANCING QUEEN Mina, die zuweilen an die Protagonistin Olive aus LITTLE MISS SUNSHINE erinnert, lernt Hip-Hop, versucht, „cool“ zu werden und sich zu ändern, um E. D. Win zu gefallen. Doch ist das wirklich der richtige Weg? – StB

Termine bei der 73. Berlinale:
Samstag, 18.02.2023, 14:00 Uhr, Urania, Deutsch eingesprochen | Kopfhörer für OV
Sonntag, 19.02.2023, 09:45 Uhr, Cubix 8, Deutsch eingesprochen | Kopfhörer für OV
Sonntag, 19.02.2023, 12:30 Uhr, Filmtheater am Friedrichshain, Ukrainisch eingesprochen
Montag, 20.02.2023, 09:30 Uhr, Filmtheater am Friedrichshain, Deutsch eingesprochen
Freitag, 24.02.2023, 09:30 Uhr, Zoo Palast 1, Deutsch eingesprochen | Kopfhörer für OV
Sonntag, 26.02.2023, 12:30 Uhr, Filmtheater am Friedrichshain, Deutsch eingesprochen

RETROSPEKTIVE

MURIEL'S WEDDING Deutsche Kinemathek, © SIGMA LTYS
MURIEL’S WEDDING Deutsche Kinemathek, © SIGMA LTYS

MURIEL’S WEDDING

Darum geht es:
Muriel ist Anfang 20 und will einfach nur dazu gehören. Das ist gar nicht so einfach, wenn man noch gern ABBA hört („Es sind die 90er, Muriel, wir hören uns die Baby Animals an“) und sich ständig in Tagträume rund um die weiße Traumhochzeit flüchtet, aber beruflich auf der Stelle tritt. Doch dann rauscht mit Rhonda(Rachel Griffiths, die einigen noch als Brenda aus SIX FEET UNDER ein Begriff sein dürfte) eine neue Freundin in ihr Leben und mit ihr die Veränderung.

Was du zum Film wissen musst:
Muriel’s Wedding war Toni Collettes großer Durchbruch. In der australischen Dramödie, die gekonnt die Balance zwischen beißender Gesellschaftskarikatur und empathischem Coming-of-Age hält, kann sie auch zeigen, was für eine unglaubliche Charakterschauspielerin sie ist. Ein unbedingtes schräges Muss für alle, die sich schon mal zu dick, zu dumm oder einfach nur nicht dazugehörig gefühlt haben. – MK (die den Film rund 100 Mal gesehen hat).

Termine bei der 73. Berlinale:
Sonntag, 19.02., 16:00 Uhr, Cubix 6
Samstag, 25.02., 21:30 Uhr, Cubix 3

RUE CASES-NÈGRES (SUGAR CANE ALLEY) © René Marran – JMJ Internatonal Pictures

RUE CASES-NÈGRES (SUGAR CANE ALLEY)

Darum geht es:
José wächst im Jahr 1930 bei seiner herzkranken Großmutter Ma’Tine in einem Hüttendorf auf Martinique auf. Während die Erwachsenen tagsüber auf einer Zuckerrohrplantage unter den französischen Besatzern schuften, vertreiben sich die Kinder die Zeit mit allerlei Schabernack. Ma’Tine drängt José dazu, die Schule zu besuchen, um nicht als einfacher Arbeiter auf den Feldern zu enden. Durch seine besonderen schriftlichen Leistungen gelingt es ihm, an der Oberstufe in der Hauptstadt Fort-de-France aufgenommen zu werden. Allerdings muss seine Großmutter dazu als Wäscherin für wohlhabende Haushalte arbeiten, um das Schulgeld bezahlen zu können.

Was du zum Film wissen musst:
Ava DuVernays Auswahl für die Retrospektive blickt aus einer kindlichen Perspektive auf die Sklaverei und die Lebensbedingungen in der französischen Kolonie. Basierend auf dem autobiografischen Roman von Joseph Zobel schafft die Regisseurin Euzhan Palcy in ihrem Debütfilm von 1983 ein differenziertes Porträt des Erwachsenwerdens, in dem die Härte der sozialen Ungleichheiten und tragischen Schicksalsschläge einer verspielten Leichtigkeit der Heranwachsenden gegenübergestellt wird. Im Rahmen von Berlinale Talents wird die Filmemacherin an dem Podiumsgespräch „Stand Up, Stand Tall: The Cinema of Euzhan Palcy“ teilnehmen. – HK

Termine bei der 73. Berlinale:
Donnerstag, 23.02., 9:30 Uhr, Zoo Palast 1
Freitag, 24.02., 17:30 Uhr, Cubix 3

TYPHOON CLUB © Directors Company

TYPHOON CLUB (TAIFU KURABU)

Darum geht es:
Es bahnt sich ein Taifun an. Im Mittelpunkt des Geschehens ist eine Mittelschule in einer japanischen ländlichen Gegend. Die Jugendlichen sind weitgehend auf sich selbst gestellt. Die Eltern sind abwesend, der Vertrauenslehrer betrinkt sich mit seinen angehenden Schwiegereltern, die ihn drängen, endlich in den Hafen der Ehe einzulenken. Mikumi ist ein fleißiger Junge, die Mädchen an der Schule sind alle in ihn verliebt, er hat aber nur Augen für Rie. Diese ist aber im Dorf unzufrieden und reißt nach Tokyo aus. In der Zwischenzeit sind Mikumi und anderer Klassenkameraden in der Schule gefangen, weil der Taifun wütet. Sie sprechen über ihre Sehnsüchte, ihre Unsicherheiten und schaffen es, sich von ihren körperlichen Hemmungen zu befreien. In der Schulturnhalle, bei japanischer Rockmusik, fallen die Hüllen im wörtlichen wie übertragenen Sinn.

Was du zum Film wissen musst:
Der japanische Regisseur Shinji Sōmai hat nur etwa zehn Filme gedreht, bevor er gestorben ist. TYPHOON CLUB stammt von 1985 und erhielt damals seitens der Kritiker hohe Anerkennung. Der Film gewann auch den Hauptpreis beim Filmfestival in Tokyo. Ausgewählt hat diesen Film der japanische Regisseur Hamaguchi Ryusuke (DRIVE MY CAR) als gelungenes Beispiel für einen Film übers Erwachsenwerden. Weit bedeutender als die Handlung selbst allerdings ist bei diesem Film seine Form. In erster Linie geht es nämlich hier um die Erzeugung einer Stimmung durch eine sinnliche Bildsprache, mit sorgfältigen Einstellungen, einem einheitlichen Farbkonzept und lakonischer Erzählstruktur. Der Film ist visuell (und auch inhaltlich) unglaublich spannend, obwohl eigentlich kaum etwas passiert. – TV

Termine bei der 73. Berlinale:
Dienstag, 21.02., 19:00 Uhr, Cubix 3
Mittwoch, 22.02., 13:00 Uhr, Cubix 6

PERSPEKTIVE DEUTSCHES KINO

VERGISS MEYN NICHT © MADE IN GERMANY

VERGISS MEYN NICHT

Darum geht es:
Der Hambacher Forst wurde durch den Kampf von Umweltaktivist_innen gegen dessen Abholzung durch den Konzern RWE 2018 zum Symbol. Eine klimabewusste Jugend leistet immer verzweifelter Widerstand gegen Verhältnisse, die die Realitäten nicht als solche anerkennen. Dieser Protest radikalisiert sich. Steffen Meyn ist als berichterstattender Journalist, aber auch als Freund unter Menschen, die ihr Leben ihrem Kampf für den Wald unterordnen und in selbst gebaute Baumhäuser ziehen, was die Bäume vor der Rohdung bewahren soll.

Was du zum Film wissen musst:
VERGISS MEYN NICHT entstand als Kombination aus Material, das Steffen Meyn mit einer 360°-Helmkamera gedreht hat, die ihn unter anderem auf Klettertouren durch die Baumwipfel begleitet. Als der „Hambi“ durch die Ordnungskräfte zwangsgeräumt wird, kommt es zum Unglück und Meyn stirbt. Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl und Jens Mühlhoff montieren und kombinieren sein gedrehtes Material mit Interviews mit Umweltschützer_innen. Dadurch entstehen gleich zwei vielschichtige Portraits, eines von Meyn und eines von Aktivist_innen-Gruppe. -DD

Termine bei der 73. Berlinale:
Samstag, 18.02., 22:00 Uhr, International
Sonntag, 19.02., 16:30 Uhr, Zoo Palast
Montag, 20.02., 10:00 Uhr, Cubix 6
Montag, 20.02., 21:30 Uhr, Filmtheater am Friedrichshain
Freitag, 24.02., 15:00 Uhr, Kino im Zeiss-Großplanetarium (Berlinale Goes Kiez)

GERANIEN © Claudia Schroeder

GERANIEN

Darum geht es:
Als ihre Oma Marie stirbt, kehrt die Schauspielerin und Mutter Nina (Friederike Becht), die sich für eine Rolle im TRAUMSCHIFF zu schade ist, allein aus Amsterdam in ihren Heimatort im Ruhrgebiet und damit in ihr Kinderzimmer in einer beschaulichen Bungalowsiedlung zurück. Da die Beerdigung sich immer weiter verschiebt, muss Nina länger bleiben als geplant. Schnell flammen alte Spannungen zwischen Nina und ihrer Mutter Konnie (Marion Ottschick) wieder auf.

Was du zum Film wissen musst:
Regisseurin und DFFB-Absolventin Tanja Egen, geboren in Dortmund, widmet sich in ihrem ersten Langfilm, der zugleich ihr Abschlussfilm ist und den sie in ihrem Heimatort Holzwickede drehte, Mutter-Tochter-Beziehungen. Es geht um mehrere Generationen von Frauen einer Familie, um sozialen Aufstieg – und um Herkunft. So lebt GERANIEN auch vom Lokalkolorit – ob Trinkhalle, feinstes Ruhrgebietsdeutsch oder ein letztes Video von „Omma“ beim Kegeln. – StB

Termine bei der 73. Berlinale:
Montag, 20.02.2023, 19:00 Uhr, International
Dienstag, 21.02.2023, 16:30 Uhr, Zoo Palast 3
Dienstag, 21.02.2023, 16:30 Uhr, Zoo Palast 4
Dienstag, 21.02.2023, 16:30 Uhr, Zoo Palast 5
Mittwoch, 22.02.2023, 10:00 Uhr, Cubix 6
Sonntag, 26.02.2023, 21:30 Uhr, Filmtheater am Friedrichshain

BERLINALE SHORTS

FROM FISH TO MOON © Kevin Contento
FROM FISH TO MOON © Kevin Contento

FROM FISH TO MOON

Darum geht es:
Ein kleiner, mit allen möglichen Lebensmitteln zugestopfter Supermarkt in den USA als sozialer Mittelpunkt und gesellschaftlicher Kitt. Da spielt der Mitarbeiter schon mal am einarmigen Banditen, rezitiert Gedichte in den noch leeren Raum hinein oder die Kollegin erzählt, wie wenig Schlaf sie benötigt. Zwischendrin wird Fleisch abgepackt – und ein kleines Schild weist darauf hin, dass man auch bei Geldknappheit leider eine Mindestbestellmenge an der Fleischtheke einhalten muss.

Was du zum Film wissen musst:
FROM FISH TO MOON ist bereits der vierte Film des kolumbianisch-amerikanischen Filmemachers Kevin Contento. Poesie scheint in seinem Werk eine gewisse Rolle zu spielen, ja auch Spiritualität. Sein Vorgängerfilm, der Langfilm CONFERENCE OF THE BIRDS, handelte von der Suche dreier Schwarzer Männer nach einem Fabelwesen der iranischen Mythologie, der Film davor, HIEROPHANY, erzählt davon, wie ein junger Mann in Kontakt mit etwas Heiligem tritt. – MK

Termine bei der 73. Berlinale
Montag, 20.02., 15:30 Uhr, Cubix 9 (Berlinale Shorts I)
Dienstag, 21.02., 12:30 Uhr, Cineplex Titania (Berlinale Shorts I)
Mittwoch, 22.02., 21:30 Uhr, Cubix 9 (Berlinale Shorts I)
Donnerstag, 23.02., 14:15 Uhr, Cubix 3 (Shorts Take Their Time: Ausführliches Q&A nach jedem Film)

OURS © HSLU – Morgane Frund, BA Video
OURS © HSLU – Morgane Frund, BA Video

OURS

Darum geht es:
Morgane Frund wollte eigentlich einen Film aus den Bärenaufnahmen eines Amateurfilmers schneiden, der der Filmuni mit seinem Anliegen schon lange Jahre damit in den Ohren lag. Doch dann entdeckt sie andere Bilder, voyeuristische Bilder, und fragt sich, ob sie diesen Film noch machen kann. Überraschend involviert sie den Amateurfilmemacher selbst in ihr Unwohlsein.

Was du zum Film wissen musst:
Bei polarisierenden Themen ist es oft nicht Usus, den Dialog zu suchen; die Debatten um den Male Gaze bilden da keine Ausnahme. Umso besonderer ist es, dass OURS es probiert, eigene Verletztheit zum Trotz. OURS ist Morgane Frunds Abschlussfilm an der Hochschule Luzern – Design & Kunst. Auch ihre zwei vorherigen Arbeiten sind dokumentarisch – in MEMOIRES DE MEDUSES und in LA DOYENNE, und Tier stellen auch hier die filmischen Ausgangspunkte dar: In MEMOIRES DE MEDUSES denkt sie unter anderem über Quallen nach und in LA DOYENNE über Pferde. – MK

Termine bei der 73. Berlinale
Dienstag, 21.02., 21:30 Uhr, Cubix 9 (Berlinale Shorts IV)
Donnerstag, 23.02.,12:30 Uhr, Cineplex Titania (Berlinale Shorts IV)
Donnerstag, 23.02., 15:45 Uhr, Cubix 8 (Cross Section Berlinale Shorts)
Freitag, 24.02., 14:15 Uhr, Cubix 3 (Shorts Take Their Time: Ausführliches Q&A nach jedem Film)
Samstag, 25.02., 21:30 Uhr, Cubix 9 (Berlinale Shorts IV)