Alfilm 2021: Vom 21. bis 30. April 2021 bei Indiekino-club.de


THE MAN WHO SOLD HIS SKIN

Darum geht es:
Sam (Yahya Mahayni) und Abeer (Dea Liane) lieben sich und im Überschwang der Gefühle macht er ihr mitten im Zug einen Antrag, der ihm aufgrund seiner Formulierung zum Verhängnis wird. Sam wird eingesperrt und muss in den Libanon fliehen. Während Sam im Libanon festsitzt und sich auf Vernissagen die Häppchen als Abendessen zusammenklaubt, gibt Abeer dem Druck der Familie nach, heiratet einen reichen Mann und zieht nach Brüssel. Um wieder bei ihr zu sein und in den Besitz eines Visums zu kommen, lässt sich Sam auf einen Deal ein: Er lässt sich den Rücken tätowieren und wird zum lebendigen Kunstwerk, über das erst der Künstler mit Agentin, dann der Sammler und schließlich der Auktionär frei verfügen können.

Was du zum Film wissen musst:
Kaouther Ben Hanias Film persifliert die Dynamiken eines völlig frei drehenden, perversen Kunstmarktes und seinen unethischen Produktions- und Rezeptionsbedingungen, wie es vor ein paar Jahren auch THE SQUARE kunstfertig vermochte. Doch anders als THE SQUARE verbindet Ben Hania diesen Schauplatz des Kapitalismus mit einer noch weitaus aufgeladeneren, politischen Komponente: THE MAN WHO SOLD HIS SKIN fragt nämlich auch, ob wir nicht unlängst als Zuschauer*innen so abgestumpft sind, dass wir die Gräuel und persönlichen Schicksale kriegerischer Konflikte nurmehr als selbstbezogene, wohlmeinende Kunstgeste ertragen. Die Opfer und Protagonist*innen als konsumierbare Objekte, das Leid als Fetisch. Das macht die eigentliche Stärke des Filmes aus, der von Yahya Mahaynis und Dea Lianes starken schauspielerischen Leistungen getragen wird. THE MAN WHO SOLD HIS SKIN ist als diesjähriger tunesischer Oscarbeitrag als „Best International Film“ nominiert. – MK

PURPLE SEA

Darum geht es:
Der Blick suggeriert: Wir sind ganz nah dran, sitzen mit auf einem Boot. Der Himmel ist blau, das Meer glitzert – und dann kentert das Boot und Kamera und Blick sind unter Wasser. Wir sehen Arme und Beine, Pullis, Hosen, Schals. Wir hören, wie die Stoffe unter Wasser aneinanderreiben. Manchmal schnappt die Kamera, schnappen wir Luft und sind wieder an der Oberfläche, dann geht es wieder hinunter in das Meer, das nicht mehr glitzert. 67 Minuten lang. Parallel hören wir eine Frauenstimme, die uns erzählt, warum sie, warum die Kamera dort ist, wo sie ist.

Was du zum Film wissen musst:
Mit PURPLE SEA hat die Regisseurin Amel Alzakout ihre eigene Flucht von der Türkei nach Europa dokumentiert, die sie für ihren damaligen Freund Khaled Abdulwahed (den Co-Regisseur des Filmes) festhalten wollte. Die Kamera hatte Alzakout am Körper befestigt, nichtsahnend, dass sie nicht nur Bilder der eigenen Flucht, sondern auch des Kentern des Schiffes und den vier Stunden andauernden Versuch der Menschen, im Meer treibend zu überleben – von denen vermutlich 42 starben; eine finale Aufklärung hat es bisher nicht gegeben – erzeugen würde. Es ist ein erschütterndes Dokument, mehr Installation als Film, das gerade durch die fragmentarische, zufällige Qualität der Aufnahmen an Dringlichkeit gewinnt. Die Bilder auf die beständig vor unserer europäischen Haustür stattfindende Katastrophe auf dem Mittelmeer sind wir fatalerweise schon gewöhnt – PURPLE SEA wirft den Blick zurück vom Meer in die Frontexhubschrauber. Und gibt uns einen Eindruck davon, welche körperliche, traumatische Erfahrung die Überfahrt ist, und wie persönlich, nahbar und verständlich (die Liebe!) ein Fluchtgrund neben allen politischen Motivationen eben auch sein kann. – MK

https://www.arte.tv/de/videos/094619-011-A/das-purpurmeer-interview-mit-amel-alzakout-und-khaled-abdulwahed

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