Best of 2024: Die Lieblinge der BFF-Redaktion
Ein eklektisches Kinojahr geht zuende
Den Jahresstart begeht die BFF-Redaktion filmisch oft noch gemeinsam bei der Berlinale – danach verzweigen sich die jeweiligen Filmgeschmäcker dann aber doch in alle erdenklichen Richtungen und so sind unsere jeweiligen Top Tens wieder einmal ein schönes wildes Redaktions-Gesamtbild aus kurzen und langen, aktuellen sowie wiederentdeckten, älteren Filmen.
2024 haben es dann sogar einige Berlinale-Filme als Lieblinge in den Top-Ten-Listen geschafft – dreimal ist der eindrückliche DES TEUFELS BAD von Severin Fiala und Veronika Franz vertreten und zweimal hat es der Gewinner des Goldenen Bären, Mati Diops DAHOMEY, drauf geschafft. Mit REINAS, ELLBOGEN, EIN KLEINES STÜCK VOM KUCHEN, IN LIEBE EURE HILDE, LA COCINA,THE ADAMANT GIRL sowie dem als bester Kurzfilm ausgezeichneten AN ODD TURN von Francisco Lezama sind auch andere Filme aus allen Sektionen des Festivals vertreten.
Über die großen Kritikerlieblinge haben die BFF-Redakteur*innen in verschiedenen Kontexten wieder lustvoll gestritten und drei sind gleich im Besonderen vertreten: Der Body-Horror-Schocker THE SUBSTANCE von Coralie Fargeat, LA CHIMERA von Alice Rohrwacher und ALL OF US STRANGERS von Andrew Haigh.
In den Top Ten finden sich auch zwei kommende Kinostarts: ALL WE IMAGINE AS LIGHT von Payal Kapadia, der am 19.12. bei uns in den Kinos startet sowie DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS von Mohammad Rasoulof (26.12.). Außerdem wirft die 2025 bereits ihre cineastischen Schatten voraus: Henning Koch zählt BIRD von Andrea Arnold zu seinen Favoriten, und Thomas Heil hat schon eine Oscar-Vermutung in petto.
Aber jetzt kommt er erstmal, der Blick zurück in die 2024: Hier sind unsere Best-Ofs!
Langfilme:
REINAS von Klaudia Reynicke
ELLBOGEN von Aslı Özarslan
EIN KLEINES STÜCK VOM KUCHEN von Maryam Moghadam und Behtash Sanaeeha
ALL WE IMAGINE AS LIGHT von Payal Kapadia
NEUIGKEITEN AUS LAPPLAND von Miia Tervo
KÖNIGE DES SOMMERS von Louise Courvoisier
LESS THAN KOSHER von Daniel AM Rosenberg
DIE GLEICHUNG IHRES LEBENS von Anna Novion
IN LIEBE, EURE HILDE von Andreas Dresen
Kurzfilme:
GETTY ABORTIONS von Franzis Kabisch
CURA SANA von Lucía G. Romero
MUNA von Warda Mohamed
SHEEP von Hadi Babaeifar
ÉTÉ 2000 von Virginie Nolin und Laurence Olivier
Stefanie Borowsky
2024 war ein starkes Jahr für politische Dokumentarfilme – so viele, dass ich sie gar nicht alle in meinen Top 10 unterbringen kann. Mati Diop schaffte mit ihrem eigenwilligen Restitutions-Porträt DAHOMEY frische Perspektiven auf die koloniale Provenienzgeschichte in europäischen Museen, NO OTHER LAND forderte bei der Berlinale mit seiner aktivistischen Erzählweise den historisch bedingten Bias gegenüber der Kritik am israelischen Staat in Deutschland heraus. (Darüber hinaus arbeitete Raoul Peck mit ERNEST COLE: LOST AND FOUND die tragische Biografie des Fotografen auf, der mit seinen Bildern das südafrikanische Apartheidsregime entlarvte und INTERCEPTED untersuchte anhand von abgehörten Funksprüchen die russischen Sichtweisen auf den Krieg in der Ukraine.) Doch auch im fiktionalen Bereich gab es einige Lieblingsfilme zu entdecken: Andrea Arnold kehrte mit ihrer großartigen sozialrealistischen Fabel BIRD endlich wieder zum Spielfilm zurück, Payal Kapadias ALL WE IMAGINE AS LIGHT war hoffnungslos melodramatisch und offensichtlich von Wong Kar-Wai in seinen besten Momenten inspiriert (believe the hype!). Ryūsuke Hamaguchi überzeugte mich sowohl mit seiner ambivalenten Öko-Parabel EVIL DOES NOT EXIST, als auch mit deren Stummfilmvariante GIFT bei einer wunderbaren Live-Vertonung von Eiko Ishibashi im Hebbel am Ufer und Robina Roses Underground-Perle NIGHTSHIFT von 1981 ist ein „Midnight Movie“ par excellence und wurde zu meiner Wiederentdeckung des Jahres.
Langfilme (fiktional & dokumentarisch)
ALL WE IMAGINE AS LIGHT – Payal Kapadia (BFI London Film Festival 2024)
BIRD – Andrea Arnold (Around the World in 14 Films)
LA CHIMERA – Alice Rohrwacher
LA COCINA – Alonso Ruizpalacios (Berlinale 2024)
DAHOMEY – Mati Diop (Berlinale 2024)
EVIL DOES NOT EXIST / GIFT – Ryūsuke Hamaguchi (Hebbel am Ufer)
GRAND TOUR – Miguel Gomes (BFI London Film Festival 2024)
NO OTHER LAND – Basel Adra, Hamdan Ballal, Yuval Abraham, Rachel Szor (Berlinale 2024)
ON BECOMING A GUINEA FOWL – Rungano Nyoni (BFI London Film Festival 2024)
SEPTEMBER SAYS – Ariane Labed (BFI London Film Festival 2024)
Wiederentdeckungen
NIGHTSHIFT (1981) – Robina Rose (Archival Assembly #3)
TAXI ZUM KLO (1980) – Frank Ripploh (Film Restored – Das Filmerbe-Festival)
Henning Koch
Am Ende des Jahres ergeben die zig im Stream, Kino oder auf Festivals geschauten Filme oft eine diffuse Bildwolke; nur einzelne Szenen und bestenfalls Filme bleiben in ihrer Einzigartigkeit präsent. In diesem Jahr sind es bei mir vor allem Festivals und mehr noch: bestimmte Festivalformate, die einen tiefen Eindruck hinterlassen haben: Der „Dreifache Axel“ beim Kurzfilm Festival Hamburg, die magische Animation Night bei der DOK Leipzig oder auch der Sound & Vision-Abend beim Interfilm. Die Gemeinsamkeiten? Liebevolle Settings, sorgfältige Kuration, ein gebanntes Publikum, das oft mit einer spezifischen Leidenschaft das Format belebte. Weil es so schön war, musste ich diesen Formaten und dem Gewerk der Kuration noch mal eine kleine Hommage widmen; nachzulesen hier. Aber natürlich hatte ich auch rein filmbezogene Glückserlebnisse (THE SUBSTANCE, KINDS OF KINDNESS, CHALLENGERS und BLINK TWICE haben mich indes eher verärgert zurück gelassen). Hier sind meine Lieblinge in Sachen Kurz- und Langfilm.
Kurzfilme
1. AN ODD TURN (Francisco Lezama, 2024)
2. MARGIT (Alex Gerbaulet, 2002)
3. THAT’S ALL FROM ME (Eva Könnemann, 2024)
4. ON WEARY WINGS GO BY (Anu-Laura Tuttelberg, 2024)
5. SLIMANE (Carlos Pereira, 2023)
6. THE WILD-TEMPERED CLAVIER (Anna Samo, 2024)
7. MAST-DEL (Maryam Tafakory, 2023)
8. EINE EINZIGE TAT (Constanze Wolpers, 2023)
9. CARROTICA (Daniel Sterlin-Altman, 2024)
10. SPÄTSOMMER 91 (Olaf Held, 2024)
Langfilme
1. THE ADAMANT GIRL (PS Vinothraj, 2024)
2. LA CHIMERA (Alice Rohrwacher, 2023)
3. THE VILLAGE NEXT TO PARADISE (Mo Harawe, 2024)
4. DES TEUFELS BAD (Veronika Franz & Severin Fiala, 2024)
5. RICKERL (Adrian Golginger, 2023)
6. THE BIG ANIMAL (Jerzy Stuhr, 2000)
7. DER KANAL (Andrzej Wajda, 1957)
8. DER LEOPARD (Luchino Visconti, 1963)
9. IM RÜCKSPIEGEL (Maciek Hamela, 2023)
10. ALL OF US STRANGERS (Andrew Haigh, 2023)
Marie Ketzscher
Das filmische Jahr durch zehn (+ ein Kurzfilm) zu teilen, ist schwer. Diese Filme dann von eins bis zehn zu ranken, ist für mich unmöglich. Deshalb hier eine alphabetische Liste von Filmen, die mich 2024 berührt und aufgewühlt haben.
ALL OF US STRANGERS (Andrew Haigh, 2023)
Keine Worte. Oder doch? Vielleicht so: Seine Eltern lieben und doch um ihre Fehler wissen. Kind sein wollen, auch wenn es unmöglich ist. Liebe im Nachhinein, im Kopf. Einsamkeit und Erfüllung queeren Erlebens und Therapie in Filmform.
A QUIET PLACE DAY ONE (Michael Sarnoski, 2024)
Haters gonna hate und Sam will während der Alien Apokalypse nur ein Stück Pizza. Nichts zu verlieren. Es gibt zu wenig Filme über Freundschaft als große Liebe – das ist einer davon.
COLONOS (Felipe Gálvez Haberle, 2023)
Anti-Western über Vergangenheit und Gegenwart kolonialer Gewalt. Verstörend in seiner Unbarmherzigkeit, in der Schönheit der Landschaft und dem Blick, der weiter schaut, auch wenn wir nicht mehr zusehen wollen.
CROSSING (Levan Alin, 2024)
Ländergrenzen, Gendergrenzen, Generationen überqueren. Queere Aneignung türkischer und georgischer Tradition – und die Katzen Istanbuls.
I SAW THE TV GLOW (Jane Schoenbrun, 2024)
Fängt wie kaum ein zweiter Film (gender) queeres Erleben ein. Weird und off-beat, zerbrechlich und resilient, still und stolz.
LIGHT LIGHT LIGHT (Inari Niemi, 2023)
Queeres Coming of Age aus Finnland. Ausnahmsweise steht der Liebe nicht die Homophobie im Weg, sondern der Klassismus. Aufwühlend und schön.
SLIMANE (Carlos Pereira, 2023)
Kann eine Dystopie hoffnungsvoll sein? Ja! In einer Welt, in der queere Menschen wieder verfolgt werden, spendet die Community weiterhin Trost. Zart und laut in der Stille.
SLOW (Marija Kavtaradze, 2024)
Wie Liebe ausdrücken, wenn das gesellschaftliche non plus utra Sex in einer monogamen Beziehung ist? Einfühlsames Liebesdrama über Asexualität.
THE HOLDOVERS (Alexander Payne, 2023)
Ein Weihnachtsfilm, der das ganze Jahr über sehenswert ist. Familie jenseits von Verwandtschaft. Zusammenkommen und das Herz aufbrechen. Ohne Schmalz, dafür mit Schnee.
THE ZONE OF INTEREST (Jonathan Glazer, 2023)
Anstatt auf den kaum vorhandenen Widerstand zu schauen, wie es der deutsche Film gerne tut, setzt sich diese britische Produktion mit NS-Täterschaft auseinander. Ohne entschuldigend zu erklären und ohne sie von sich wegzuhalten.
YENTL (Barbara Streisand, 1983)
Für alle, die denken, Musicals seinen nicht ihr Ding und „Papa, can you hear me?“ nur aus den Simpsons kennen (it’s-a-me!). Weibliche Selbstbestimmung, Romantik ohne Romanze und Barbara Streisand – besser wird‘s nicht.
Theresa Rodewald
Für mich war 2024 das Jahr der Frauen. Mehr als je zuvor haben Regisseurinnen, Autorinnen und Produzentinnen das Kino mit ihren Geschichten bereichert, was sich auch in meiner persönlichen Bestenliste wiederspiegelt. Bevor ich zu meiner Top 15 komme, hier noch einige honourable mentions, Filme, die ich in 2024 nicht missen möchte: AMERICAN FICTION, CIVIL WAR, DER JUNGE UND DER REIHER, A DIFFERENT MAN, EMILIA PÉREZ, FIREBRAND, THE FIRST OMEN, HUNDREDS OF BEAVERS, KINDS OF KINDNESS, KOTTUKKAALI – THE ADAMANT GIRL, POOR THINGS, QUEER, THE ROOM NEXT DOOR und SASQUATCH SUNSET.
Meine Liste der besten Filme 2024 kann nur unvollständig sein, da ich einige von mir heiß erwartete Filme (THE BRUTALIST, NOSFERATU, NICKEL BOYS und SING SING) noch nicht sehen konnte. Sie werden bei uns erst im kommenden Jahr gezeigt. Aber, wie so oft im Leben, gilt auch hier: Mut zur Lücke. Meine (vorläufigen) Lieblingsfilme des Jahres 2024 sind:
15. DES TEUFELS BAD (Österreich 2024) R: Veronika Franz & Severin Fiala – der ein frühneuzeitliches Phänomen, den „Freitod durch Hinrichtung“, thematisiert. Depression als Krankheitsbild war im 18. Jahrhundert weder bekannt noch behandelbar. Ein Horrorfilm im Gewand eines historischen Dramas.
14. CONCLAVE (USA/UK 2024) R: Edward Berger – ein äußerst effizienter Thriller über Intrigen, Kabale und Machtränke, die während einer Papstwahl die Mauern der katholischen Kirche erschüttern.
13. I SAW THE TV GLOW (USA 2024) R: Jane Schoenbrun – der als Coming-of-age Geschichte beginnt und in eine Transgender-Reflexion mündet. Eine faszinierende Fusion aus Woke-Drama und Horrorfilm.
12. CHALLENGERS (USA 2024) R: Luca Guadagnino – der eine Dreiecksgeschichte aus der Welt des Tennis erzählt. Horny und frustrierend. Aber auch ein großer Spaß.
11. DAHOMEY (Frankreich, Senegal, Benin 2024) R: Mati Diop – der die Grenzen des Dokumentarfilms neu auslotet. Die Restitution kolonialer Raubkunst wird hier sowohl aus der Perspektive der Heimat, in die die Objekte zurückkehren, als auch aus jener der Objekte selbst reflektiert. Dem Raum des rein Faktischen (was auch immer das ist) fügt Diop eine surreale Ebene hinzu und lässt ein Objekt selbst sprechen. Große Doku-Poesie, für die Diop bei der Berlinale den Goldenen Bären für den Besten Film gewann.
10. ANORA (USA 2024) R: Sean Baker – noch ein Gewinner, diesmal der Goldenen Palme in Cannes. Eine wilde Komödie über eine Stripperin, die einen russischen Oligarchensohn heiratet. Während sich seine Familie gegen sie wendet und die Annullierung der Ehe erzwingt, findet sie einen unwahrscheinlichen Verbündeten.
9. GREEN BORDER (POLEN 2023) R: Agnieszka Holland – der von der eigenen Regierung als antipolnische Propaganda beschimpft wurde. Da es sich dabei noch um die inzwischen abgewählte Regierung der PiS-Partei handelte, liest sich der Vorwurf wie Werbung für diesen exzellenten Film, der den Finger tief in die Wunde der europäischen Migrationspolitik legt. Kaleidoskopartig erzählt der Film von der Flüchtlingskrise an der polnisch-belarussischen Grenze im Winter 2021/22 und porträtiert Flüchtlinge, polnische Grenzsoldaten und zivilgesellschaftliche Helfer. Starker Tobak und sehr bewegend.
8. DUNE: PART TWO (USA 2024) R: Denis Villeneuve – der die Verfilmung des ersten Dune-Romans von Frank Herbert abschließt. Episch, monumental und deutlich düsterer als der erste Teil setzt der Film den Weg des jugendlichen Helden fort, den das Schicksal zwingt, sich vom Hoffnungsträger zum grausamen Herrscher zu entwickeln. Wie alle Villeneuve-Filme ist auch dieser ein Fest für Auge und Ohr.
7. FURIOSA: A MAD MAX SAGA (Australien 2024) R: George Miller – der uns erneut in Millers postapokalyptische Welt aus Blut, Schweiß und Motorenöl führt. FURIOSA erzählt die Vorgeschichte zu FURY ROAD, der vor neun Jahren das totgeglaubte MAD MAX-Franchise überaus spektakulär wiederbelebte. Im Vergleich zur endlosen Verfolgungsjagd des Vorgängers bietet dieser Film mehr Story und Charakterbildung. Im Zentrum steht aber nach wie vor die Action. Und die inszeniert niemand so atemlos-adrenalintreibend wie George Miller. Ein wahrlich furioser Film.
6. LOVE LIES BLEEDING (USA 2024) R: Rose Glass – in dem sich Bodybuilderin Jackie (Katy O’Brian) und Muckibudenbetreiberin Lou (Kristen Stewart) verlieben und gegen das Böse (in Form von Lous kriminellen Vater) verbünden. Eine Art THELMA & LOUISE auf Steroiden – feministisches Actionkino mit zwei hinreißend kaputten Heldinnen.
5. EVIL DOES NOT EXIST (Japan 2023): Ryûsuke Hamaguchi – in dem sich ein Dorf gegen einen geplanten Campingplatz wehrt. In dem in ruhigen und sehr schönen Bildern erzählten Film passiert gar nicht viel. Und doch entwickelt Hamaguchi auch hier einen hypnotischen Sog, dem man sich kaum entziehen kann.
4. DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS (Deutschland, Iran 2024) R: Mohammad Rasoulof – in dem sich die „Frauen, Leben, Freiheit“-Proteste im Iran als Generationenkonflikt innerhalb einer Familie spiegeln. Wie der Vater im Film sich vom zunächst sanftmütigen Patriarchen zum Tyrannen entwickelt, wird aus dem Familiendrama zum Ende hin ein handfester Thriller. Deutschlands durchaus berechtigte Oscarhoffnung.
3. LA CHIMERA (Italien 2023) R: Alice Rohrwacher – der traumwandlerisch einem melancholischen Grabräuber folgt, der eigentlich nur seine verlorene Liebe sucht. Reinste Kinopoesie und der bessere der beiden Josh O’Connor-Filme auf dieser Liste.
2. THE SUBSTANCE (UK 2024) R: Coralie Fargeat – in dem ein alternder Star (grandios: Demi Moore) mittels einer Droge ein jüngeres Ich (fantastisch: Margaret Qualley) gebiert, das schon bald die Kontrolle über beider Leben gewinnt. Fargeats mit zahlreichen Filmzitaten gespickte bitterböse Satire auf den Jugend- und Schönheitswahn mündet in ein spektakuläres Finale, das jeden Splatter-Schocker alt aussehen lässt.
1. ALL WE IMAGINE AS LIGHT (Indien 2024) R: Payal Kapadia – der über zwei Drittel seiner Laufzeit dem daily struggle dreier Frauen in der Millionen-Metropole Mumbai folgt. Wohnung, Arbeit, Liebe – jede hat ihre eigenen Sorgen und weiß von denen der anderen nur wenig. Im letzten Drittel begeben sich die Drei aufs Land und dann wird es – magisch. Dieser Film ist ein Wunder. Die Geschichten, die Bilder, die Sounds – alles berührt. Doch wie Kapadia es schafft, die Zuschauer am Ende mit einem Glücksgefühl zu entlassen, ist umwerfend. Der schönste Film des Jahres.
Thomas Heil
Das Kinojahr 2024 begann mit starken Filmen wie DER JUNGE UND DER REIHER (2023, Japan) von Hayao Miyazaki und der Filmperle THE HOLDOVERS (USA, 2023) von Alexander Payne. Leider wurde das Filmangebot im Verlauf immer schwächer; hat mich kaum ins Kino gelockt. Seit November sieht es aber wieder besser aus und ich blicke gespannt auf ein hoffentlich ergiebigeres Kinojahr 2025.
- ANATOMIE EINES FALLS (Frankreich 2023) R: Justine Triet
Das intensive Justizdrama hatte seinen Kinostart eigentlich schon 2023, lief aber auch noch 2024 in den deutschen Kinos. Es ist ein inszenatorisches Glanzstück. Vom Drehbuch über das Schauspiel bis hin zur Musik ist Justine Triet mit ANATOMIE EINES FALLS ein Meisterwerk gelungen. - CUCKOO (Deutschland, USA 2024) R: Tilman Singer
Horror made in Germany hat Seltenheitswert. Regisseur Tilman Singer hat uns in diesem Spätsommer gezeigt, wie es geht und eine unvorhersehbare Horrorgeschichte erzählt, die unglaublich viel Spaß macht und eine einzigartige Atmosphäre besitzt. Man darf auf weitere Filme dieses Regisseurs gespannt sein. - RED ROOMS – ZEUGIN DES BÖSEN (Kanada 2023) R: Pascal Plante
Eine echte Überraschung. Beeindruckende Bilder und eine durchweg beklemmende Atmosphäre. Der Psychothriller RED ROOMS zeigt eindrücklich menschliche Abgründe. - CRANKO (Deutschland 2024) R: Joachim A. Lang
Eine emotionale Hommage an den bedeutenden südafrikanisch-britischen Balletttänzer und Choreographen John Cranko und das Stuttgarter Ballett. Besonders Tanzfans kommen hier auf ihre Kosten. Eine nostalgische Zeitreise mit einigen dramatischen Momenten und einem sehr überzeugenden Sam Riley als John Cranko. - DEMON SLAYER – KIMETSU NO YAIBA – ZUM TRAINING DER SÄULEN (Japan 2024) R: Haruo Sotozaki
Sicherlich nur eine Leinwandadaption für Fans, aber von denen hat „Demon Slayer“ viele. Und das zu Recht. Basierend auf dem fantastischen Manga ist der Anime einer der visuell beeindruckendsten der Gegenwart. Und für Fans klassischer Heldengeschichten gibt es mit Tanjirō Kamado einen inspirierenden Helden zum Mitleiden und Mitfiebern. - DER HERR DER RINGE: DIE SCHLACHT DER ROHIRRIM (USA, Japan 2024) R: Kenji Kamiyama
Sehr gelungener Mittelerde-Anime. Die Animation hat einen schönen Retro-Touch und ist sehr detailreich. Die Filmmusik hätte ein bisschen origineller sein können. Dafür gibt es sehr schöne Schlussmusik, „The Rider“ der britischen Singer-Songwriterin Paris Paloma und „Háma’s Song“ von Ben O’Leary. Inhaltlich ist der Anime mitreißend. Die Handlung ist zwar etwas einfach, aber es gelingt dennoch, die Spannung über die gesamte Zeit aufrechtzuerhalten. - THE SUBSTANCE (UK, USA, Frankreich 2024) R: Coralie Fargeat
Leider finde ich das Ende dieses ansonsten sehr beeindruckenden Bodyhorror-Films misslungen. Es ist mir völlig unverständlich, warum es so gewählt wurde und wirkt auf mich leider sehr zynisch. Ansonsten ist der Film visuell, schauspielerisch und inhaltlich sehr originell, regt zum Nachdenken an und ist packend. - THE HOLDOVERS (USA 2023) R: Alexander Payne
Eine wunderbare Tragikomödie von Alexander Payne mit einem beeindruckend aufspielendem Cast: Paul Giamatti, Da’Vine Joy Randolph und Dominic Sessa in seiner ersten Filmrolle. Ein Film, der das Zeug zu einem zeitlosen Klassiker hat und von Anfang bis Ende großartig konzipiert ist. - KONKLAVE (USA, UK 2024) R: Edward Berger
Edward Bergers Filmadaption des gleichnamigen Romans von Richard Harris ist ein packender Thriller in einem ungewöhnlichen Setting. Er lebt von seiner beeindruckenden Besetzung und ist auf sie zugeschnitten. Viele Nahaufnahmen und ruhige Mise-en-Scènes geben den Schauspielerinnen alle Möglichkeiten, die Zuschauerinnen mitzureißen. - EUREKA (Argentinien, Frankreich, Portugal, Mexiko, Deutschland 2023) R: Lisandro Alonso
Ein ungewöhnlicher Spielfilm in drei Teilen, wobei die ersten beiden Teile inhaltlich sehr spannend miteinander verwoben sind, während sich der dritte Teil leider nicht so homogen einfügt. Dennoch ist der Film, der in den letzten beiden Teilen indigene Charaktere in den Mittelpunkt stellt, sehr besonders und eigenwillig gestaltet, sodass man beim Zuschauen schnell zum Suchenden wird und am Ende entweder eine Botschaft gefunden hat oder verwundert zurückbleibt.
Michaela Grouls
Dieses Jahr habe ich wieder einen Berlinale-Marathon gemacht und dabei viele Filme entdeckt, die in meiner TOP 10 auftauchen (THE OUTRUN, ELLBOGEN, A DIFFERENT MAN und SASQUATCH SUNSET. Tim Burtons BEETLEJUICE BEETLEJUICE habe ich vor Begeisterung gleich zweimal gesehen. Ein weiteres Highlight war für mich der Dokumentationsfilm LESVIA, der mich beim diesjährigen griechischen Filmfestival sehr beeindruckt hat. Hier ist meine TOP 10 von 2024:
THE OUTRUN (D, GB 2024), R: Nora Fingscheidt
Saoirse Ronan spielt eine alkoholkranke Frau, die aus London flieht und eine Therapie beginnt. Dabei verändert sich ihre Haarfarbe ständig. Nora Fingscheidt liefert nach SYSTEMSPRENGER erneut einen emotionalen und tiefgründigen Film, der nachwirkt. Für mich der beste Film des Jahres.
POOR THINGS (GB 2023), R: Giorgos Lanthimos
Seltsam, schräg und empowernd. Ein einzigartiger Film, der auf eigensinnige Weise verzaubert. Die fantastische Emma Stone wurde für ihre Rolle als Frau mit Babygehirn völlig verdient mit dem Oscar als beste Schauspielerin ausgezeichnet.
ELLBOGEN (D 2024), R: Aslı Özarslan
Die 17-jährige Hazal (Melia Kara) fühlt sich verloren, wütend und verzweifelt. Ohne eine Perspektive flüchtet sie aus Berlin nach Istanbul. Sie macht Fehler, ist jähzornig und dennoch möchte man ihr helfen. Ein ehrlicher und gnadenloser Film.
A DIFFERENT MAN (USA 2024), R: Aaron Schimberg
Edward (Sebastian Stan) leidet an Neurofibromatose, eine Krankheit, die sein Gesicht mit Tumoren bedeckt. Er möchte nicht länger der „entstellte“ Mann sein und nimmt an einem Experiment teil, das ihn „schön“ machen soll. Nach seiner Verwandlung ist sein Leben aber nicht das, was es sein sollte. Schimberg zeigt eindrücklich, dass Schönheit nicht der wichtigste Aspekt unseres Lebens ist.
SASQUATCH SUNSET (USA 2024), R: David Zellner, Nathan Zellner
Vier Sasquatchs im Wald – ohne räumliche und zeitliche Einordnung, ohne Dialog. Die Zellner-Brüder inszenieren Primaten, die mit Tierlauten kommunizieren, von der einzigen Sasquatch-Dame Geschlechtsverkehr verlangen und nach einer Pilzvergiftung auf eine Straße erbrechen und koten. Ein unglaublich witziger Film mit traumhaft schönen Landschaftsbildern aus Humboldt County in Kalifornien.
BEETLEJUICE BEETLEJUICE (USA 2024), R: Tim Burton
Als großer Tim Burton-Fan habe ich zwar nicht sehnsüchtig auf die Fortsetzung von BEETLEJUICE gewartet, aber sie dennoch gebraucht. Egal ob Michael Keaton als Beetlejuice sowie Winona Ryder und Catherine O’Hara als Teil der alten Besetzung oder Jenna Ortega, Willem Dafoe und Danny DaVito als neuer Cast – der Film ist unterhaltsam und makaber, eben ein (un)typischer Tim Burton.
DIE FOTOGRAFIN (GB 2023), R: Ellen Kuras
Kate Winslet spielt die Kriegsfotografin Lee Miller, die in einer unberechenbaren Zeit während des Zweiten Weltkrieges mit unbesiegbarer Stärke agiert. Miller machte Bilder, die den zweiten Weltkrieg unvergesslich machen – darunter Aufnahmen von verletzten Soldaten, toten Nazis, nachdem sie Zyankali genommen haben, Fotos aus dem Konzentrationslager Buchenwald. Dabei entsteht auch das berühmte Bild von Lee Miller in Hitlers Badewanne.
THE SUBSTANCE (GB, D, F 2024), R: Coralie Fargeat
Ein absoluter Body-Horror, der blutig und abstoßend ist und auch so genauso endet. Mit Demi Moore und Margaret Qualley hat der Film eine großartige Besetzung und die prangert die Schönheitsindustrie, die von Männern dominiert wird, bis aufs Mark an.
LESVIA ( GRC 2024); R: Tzeli Hadjidimitrou
Diesen Dokumentarfilm habe ich beim griechischen Filmfestival gesehen. Er ist poetisch, traumhaft schön und zeigt eindrucksvoll den Wandel von Gesellschaft und Kulturen. Die Regisseurin Tzeli Hadjidimitriou porträtiert die lesbische Community, die seit 40 Jahren auf der Insel Lesbos Sappho huldigt – und damit auch sich selbst als Teil der Community – und die dort ansässigen griechischen Einwohner*innen.
DER WUNSCH (D 2024), R: Judith Beuth
Judith Beuth begleitet das Paar Maria und Christine über Jahre hinweg auf ihrem Weg, ein Kind zu bekommen. Mit dem Paar begleitet Beuth aber nicht nur die Protagonistinnen ihres Films – alle drei verbindet eine langjährige Freundschaft. Der Film ist etwas Besonderes: sehr intim, berührend und traurig. DER WUNSCH wurde auf dem Filmfestival „Willkommen zu Hause“ in Bernau gezeigt und Maria, Christine und Judith waren vor Ort. Sie haben mich mit ihrer Geschichte tief bewegt.
Larissa Reznicek